Ulf Goerke erkundet für das Zentraltheater mit »Bruder Gier« das Bahnhofsviertel.

Der Bürgerchor Integra begleitet die Performance »Bruder Gier« im Zentraltheater © Zentraltheater

Die Stadt München spuckt ihre Armen aus, nicht an den ausgefransten Rändern, sondern mittendrin, im Bahnhofsviertel. Und da liegt auch das Zentraltheater, das Simon Riggers und seine Mitstreiter vor zwei Jahren eröffneten. Jetzt gehen sie raus ins Viertel, und das im wortwörtlichen Sinne. Die neue Arbeit von Regisseur Ulf Goerke, der im Zentraltheater bereits »Moby Dick« mit einer reinen Frauenbesetzung inszenierte, wird eine Reise durchs südliche Bahnhofsviertel. Das erkundete Karnik Gregorian 2010 schon einmal im Rahmen des Kammerspiele-Projekts »Munich Central« mit einem 24-Stunden-Rundgang in die eher dunklen Ecken. So lange dauert »Bruder Gier« nicht, widmet sich aber ebenfalls der Gegenseite der Medaille einer prosperierenden Wirtschaft, den Auswirkungen der Gier.

Eigentlich wollte Ulf Goerke etwas über die großen Antagonisten Faust und Mephisto machen, stellte in der Auseinandersetzung mit Koautor und Dramaturg Cornel Franz dann aber fest, dass es eigentlich um Gier geht. Von der Bibel über Sokrates bis Heiner Müller stellt sich die Frage nach der Gier. Und Goerke fand, das Thema passe gut ins Viertel, weil man hier die Folgen sehe. Denn das Bahnhofsviertel sei für München sehr besonders, weil alles, was unten rausgefallen ist aus der Gesellschaft, hier Beratungsstellen finde. »Bruder Gier« beginnt im Theater mit einer literarisch-philosophischen Betrachtung über das Thema Gier, die im Laufe der Recherchearbeit unter Mitwirkung der Schauspieler Ines Hollinger (die wegen Erkrankung ausfällt, für sie springt Amanda da Gloria ein) und Thomas Wenke entstand und auch von der Choreografin Christina D’Alberto gestaltet wird.

Dann geht es raus und wird dokumentarisch. Was macht die Drogenberatungsstelle? Was verdienen Leute, die im Viertel arbeiten? Wer lebt hier eigentlich und wie? Eine zentrale Rolle spielt der Bürgerchor, der aus der noch nicht weggentrifizierten Wohnbevölkerung des Viertels rekrutiert wurde und mit dem das Zentraltheater in Zukunft auch weiterarbeiten und Theater für und aus dem Viertel machen möchte. Für den dritten Teil geht es dann wieder zurück ins Theater. Der Abschluss des Abends wird maßgeblich von Patrik Tirchers Videoarbeiten geprägt sein. »Bruder Gier« soll ein interdisziplinäres Rechercheprojekt sein, dokumentarisches Theater, das sich auch literarisch mit den Auswirkungen von Gier beschäftigt. Und der Anfang eines Langzeitprojektes, mit dem das Zentraltheater sich im Viertel und die Menschen des Viertels im Theater verankern will.  Ι Ι

BRUDER GIER
Zentraltheater | Paul-Heyse-Str. 28 | 2.–4. April | 20 Uhr | Tickets: 089 30659486

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