Simon Solberg kritisiert in »Herakles« die Kultur der Leistungsfixierung und ihre Folgen.
Mit dem Kopf hat er es wirklich nicht, dieser Herakles: »Die einen kommen, und dann kommen die anderen, und ich komme dann durch die Mitte«, stammelt Max Wagner, ehe er merkt, dass sein Heros in diesem Kampf ganz alleine ist. Seine Muskelkraft hingegen ist gigantisch: Wer ihn nervt, wird von ihm angestupst. Wen er anstupst, der geht drauf. Und weil sein Vetter Eurystheus ihn auch aus diesem Grund lieber weit weg weiß, gibt er ihm gerne ein um die andere »Herkulesaufgabe«, die er aus keinem anderen Antrieb heraus erledigt, als dass er’s soll und kann. Sein Mantra: »Jeder trage seine Last zum Wohle aller«. Sein Vorwand: Das Sorgen für die Familie. Und als ihm erste Zweifel dämmern – »Warum sollte das Wohl aller zur Last des Einzelnen werden?« – ist es längst zu spät.
Bei Simon Solberg am Münchner Volkstheater mutiert das halbgöttliche Mannsbild zum Schaffe-Schaffe-Häuslebauer, der nicht schwäbisch spricht. Dafür sächselt Thomas Eisen als Atlas, und einmal bricht es auf Seehoferisch aus einem der wechselnden Erzähler heraus: »Die Grenzen müssen geschützt werden!« Fast drei Jahre hat Solberg nicht mehr in München inszeniert. Jetzt ist er zurück und legt los, als müsse er hier erst noch seine Visitenkarte abgeben. Der »Herakles« des Hausregisseurs am Theater Bonn ist ein Solberg in Reinkultur – abzüglich der popkulturellen Verschneidewut, schließlich geht der Radikal-jung-Star von 2008 mittlerweile auf die 40 zu. Aber den Hang zu Kalauer und Klamauk hat er sich bewahrt; diese Strategie, um einen zentralen Gedanken herum mit ästhetischen Einfällen und Slapstickiaden zu klotzen. So wird im knöcheltiefen Wasser, das die ganze Bühne flutet, ausgerutscht, was das Zeug hält. Die Zuschauer werden nass, die sechs spielwütigen Schauspieler in den ausgefallensten Badelatschen und im Industrial-Clowns-Look gar nicht mehr trocken. Als Hauptrequisit dienen ihnen Kunststoffschläuche in allen Längen, Dicken und Farben. Sie werden als Baby geherzt, anzüglich zwischen die Beine gesteckt, als Waschlappen, Haartracht, Waffe und unpraktischer Ersatz für Hände benutzt. Das Hantieren mit ihnen wirkt im Kleinen oft etwas wahllos undunpräzise. Doch als vom Ensemble wieder und wieder neu errichtetes Bühnenbild, das Solberg mit der Kostümbildnerin Katja Strohschneider entworfen hat, leisten die kriechtunneldicken Schläuche tolle Dienste. Egal, ob Herakles im dampfenden Zwielicht des Hades oder vor dem Orakel von Delphi steht: Die Fantasie glaubt dem sich immer anders auftürmenden Kunststoff jede szenische Behauptung.
Fehlt noch die inhaltliche Idee, die hin und wieder hakelt, aber etwas Bestechendes hat: Solberg sieht Herakles als Vertreter einer leistungsfixierten Kultur und ihrer durchweg zerstörerischen Folgen; den Kampf gegen die Amazonen als Völkermord, das Erlegen allerlei »Löwen-Tiger-Hirsch-Stier-Ross-Untiere« als Raubbau an der Natur. Den zentralen Raubbau aber begeht der Held in dieser Fassung, die neben Texten von Euripides und Gustav Schwab auch Frank Wedekinds Kriegsheimkehrerstück von 1919 hinzuzieht, an sich selbst. In der stärksten, sich den Einfallsdurchfall verkneifenden Szene des Abends, schmiert sich Max Wagner Lehm ins Gesicht und trommelt sich über einer Tonne in Rage. Am Ende liegen seine Kinder und seine Frau tot in der Pfütze. In der Tragödie ist es der Wahn des viel zu starken Helden, der sie statt eingebildeter Giganten killt. Die heutige Arbeitswelt killt nur die Nähe zu ihnen. Und das reicht. ||
HERAKLES
Münchner Volkstheater| 5., 9., 15. März| 19.30 Uhr
Tickets: 089 5234655
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