Reaktionen auf den rassistischen Blick: Taigué Ahmeds Solo »Je sors de nulle part mais d’un trou obscur«.

Taigué Ahmed | © Jean-Marc Turmes

Zwischen Paris und Burkina Faso ist Taigué Ahmed derzeit schwer zu erwischen. Immerhin tanzt er in Frankreich in einer Gala zu Ehren der Menschenrechte und stellt der UNESCO seine 2005 in N’Djamena gegründete Organisation »Ndam Se Na« (»Gemeinsam Tanzen«) vor, die den in kriegerischen Zeiten wie in der heutigen Diktatur vom Vergessen bedrohten lokalen (Tanz-)Traditionen wieder auf die Beine hilft, Künstler ausbildet und in Flüchtlingslagern im Süden des Tschad Techniken und Überlebenswillen vermittelt. In Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou präsentiert der Tänzer und Choreograf beim Festival Dialogues de corps gerade sein im Mai 2018 auch in München gezeigtes Gruppenstück »Waignedeh/Morgen« über den Stillstand der Zeit im Dauerprovisorium Flüchtlingscamp – und gibt einen zehntägigen Workshop.

Der Mann aus dem Tschad ist extrem gefragt dieser Tage. Im Januar wird er in München sein Solo »Je sors de nulle part mais d’un trou obscur/Ich komme von nirgendwo, aber aus einem obskuren Loch« fertigstellen. Einen Abend, an dem es um den rassistischen Blick geht und die Schubladen, in die er Menschen steckt, die wie er selbst anders aussehen, anders auftreten und scheinbar nicht dazugehören. Bei unserem ersten Aufeinandertreffen anlässlich seines München-Debüts »Laissez-moi – Eine Blickstörung« (2015) ging es auch schon darum, wie dieser klassifizierende und verletzende Blick das Verhalten des Angeschauten prägt und ob es sich dagegen antanzen lässt. Damals sagte Taigué Ahmed: »Der Schwarze ist immer nur da, um zu tanzen. Und ein schwarzer Tänzer wird immer als traditioneller Tänzer gesehen. Jeder scheint automatisch zu wissen, wo er herkommt und wer er ist.«

Einem schwarzen Mann geht es da offenbar ganz ähnlich. Da Taigué Ahmed nicht erreichbar ist, kramt Sarah Israel, seine Lebensgefährtin und Dramaturgin auch des aktuellen Stückes, konkrete Situationen aus den gemeinsamen Erinnerungen, in denen Taigué eine Sonderbehandlung erfuhr. Zum Beispiel werde ihm immer wieder die Frage »Bist du mit dem Boot gekommen?« gestellt. Denn für viele scheint klar: Eine Person, die so aussieht wie er, kann in München nur durch eine Fluchtbewegung angelandet sein. An den Türen von Clubs, sagt Israel, würden er und seine Kumpels häufig zurückgewiesen, und »zuletzt wurde Taigué von der zivilen Polizei in der U-Bahn verfolgt. Man hat ihn gar nicht erst gefragt, wie er heißt und wer er ist, sondern ihn gezwungen sich still zu verhalten, damit die Polizisten selbst den Pass aus seiner Tasche ziehen konnten.« Wann kommt nach solchen Erfahrungen die Ermüdung, wann die Wut? Wie rebelliert ein Mensch gegen diese Zuschreibungen? Und, ergänzt Israel: »Gegen wen kämpft er und wer erschöpft sich dabei?« Das sind die Fragen, denen Ahmeds neues Stück nachgeht und denen er sich als Tänzer mit seinem eigenen Körper aussetzt.

Körper im Herrschaftsraum – zum Solo »Je sors de nulle part mais d’un trou obscur« von Taigué Ahmed | © Katharina Denk

Doch während er in dem früheren Solo »Crache mon histoire« (2009) seine eigene Geschichte erzählte, ist »Je sors de nulle part …« weder autobiografisch noch dokumentarisch. Laut Sarah Israel geht es darin eher allgemein um Mechanismen der Ausgrenzung – »und mehr noch um die Emotionen, die Reaktionen des Betroffenen darauf«, vermittelt durch Bewegung, durch Tanz. Und da liegen die Wurzeln bei Taigué Ahmed, der bereits als 13-Jähriger Mitglied des tschadischen Nationalballetts wurde, im traditionellen, Alltagsbewegungen integrierenden Tanz, den er nach vielen Besuchen von Workshops und Germaine Acognys Ecole des Sables im Senegal vielfach bricht, fragmentiert, mit zeitgenössischen Elementen verschneidet, zu etwas Drittem transformiert und dabei auch individuellen Bewegungsqualitäten Raum gibt. Außerdem arbeitet er als Tänzer wie Choreograf mit kulturellen Gesten und – vor allem im vorliegenden Fall – mit vielen Wiederholungen, die ihm einen zweiten Blick auf Gestenfolgen oder Bewegungssequenzen erlauben.

Szenische und ausstatterische Details, etwa die »mitspielenden«, die Qualität der Bewegungen beeinflussenden Kostüme betreffend, werden erst in den letzten drei Probenwochen entschieden. Die Musik stammt wie schon bei »Waignedeh« von Benno Heisel. Wie die Videosequenzen der Filmemacherin und Soundkünstlerin Janine Jembere steuert sie ihre eigene Fantasie zum Thema bei. Das Prinzip Wiederholung und graduelle Veränderung aber teilen alle Elemente der Performance. Dabei ist der Einsatz von Videomaterial ein Novum für die Arbeit Taigué Ahmeds. Es wird laut Sarah Israel eine Übersetzung und Ergänzung dessen zeigen, was im Tanz zu sehen sein wird und »zum Beispiel bestimmte Muster und Verhaltensweisen aus dem Alltag der Stadt in den Bühnenraum holen, wie etwa Silhouetten von Menschen, die einfach vorbeigehen und eben nicht interagieren«. Ein Bild der Gleichgültigkeit oder ein Bild des Flusses, in dem der vermeintlich Fremde nicht mitschwimmt. ||

TAIGUÉ AHMED: »JE SORS DE NULLE PART MAIS D’UN TROU OBSCUR«
HochX| Entenbachstr. 37 | 30. Januar (Voraufführung), 1. und 2. Februar| 20 Uhr
Tickets: 089 90155102

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