Mit »Morning in Byzantium« inzeniert Trajal Harrell einen sensiblen Reigen zwischen Dämmer und Helle.

Schritte unter Blüten | © Orpheas Emirzas

Mein junges Ich kann helfen, sagt der Alte auf dem Stuhl, wäh­rend der junge Kollege Textblätter an das Publikum verteilt, und liest einen Text über eine Rose in einem Schiaparelli­-Farbton. Vergänglich wie alles. In dieser etwas fahlen Welt, möbliert mit Tischen und der Innenseite eines Portals im Hintergrund, aus dem die neun Darstellerinnen und Darsteller treten, während Choreograf Trajal Harell noch am Rand in der ersten Reihe sitzt. Sein nach »Juliet & Romeo« zweites Stück für die Münchner Kammerspiele folgt der Dramaturgie des Runways, wenn einer nach der anderen aus der Mitte hinten nach vorne schreitet, sich dem Publikum präsentiert und wie­der abgeht. Ein Reigen der elegant gesetzten Schritte, der spar­samen Gesten. Er grundiert »Morning in Byzantium«, lässt dabei Raum für den Protagonisten, Walter Hess, der Texte liest wie den von dem wundersamen Garten – »eine botanische Sin­fonie« zwischen Geburt und Tod – und Verse von Rilke und von dem Nachtcafé, das Byzantium heißt. Um ihn gruppieren sich die anderen acht, drehen sich, werden von ihm gedreht und gewendet, zurechtgezupft wie die Blumen. Einmal allerdings muss er seinen Platz räumen für einen Tanz Harrells, der schwingend, drehend, die Mitte der Bühne beansprucht.

»Morning in Byzantium« ist ein verhaltenes Stück. Lange bleibt es im Zuschauerraum hell, Klaviermelodien wiederho­len sich, ein Kreislauf des Gleichen, in dem die Details zählen: wie jemand geht, tastend, eher zielstrebig, in sich versunken oder agil; wie eine ihren Stoff gerafft hat, welche Muster kom­biniert, welche Schnitte aus diesem Fundus gewühlt wurden, dessen Designs von angesagten Modelabels stammen, von Adidas über Givenchy bis Vetements. Das Gehen auf halber Spitze klappt bei fast allen dieses gemischten Schauspieler­ und Tänzerensembles ganz gut, ebenso das Posen, wenn sie allerdings wie expressionistisch aufflatternde Todeskrähen um den Tisch herum die Arme wie Flügel schlagen, dann sieht man doch deutlich die Unterschiede, zwischen denen, die den Flügelschlag nuancieren können, und den anderen, die so vor sich hin flattern. Die zombiehafte, butoh­-inspirierte Kette gelingt besser. »Frère Jacques« singen sie gemeinsam. Und gemeinsam halten sie das Stück in der fragilen Schwebe, in der Offenheit, ins Dunkle zu verdämmern oder ins Helle zu gleiten. Im Text las man, es ginge darum, »ein Leben mit Unbekannten zu führen« und dabei »den gewöhnlichsten Orten Schönheit zu entlocken«.

»Morning in Byzantium« bleibt lange im Vagen. Ein ruhiges Fließen und Verstreichen der Zeit, emotional wie hinter Glas. Entrückt. Es entsteht etwas, wir sehen zu. Paare treffen und trennen sich, einzelne ziehen ihre Bahnen. Das Klavier wird abgelöst von Popsong, vom Glockenschlag, von Jazz. Dann verdichtet sich das Stück im Auftritt der Gruppe in Blumenba­demänteln, in Harrells Solo, in einem Gewusel von Nachtschmetterlingen auf Speed. Walter Hess hüpft uns am Ende entgegen. Lachend. ||

TRAJAL HARRELL: »MORNING IN BYZANTIUM«
Kammerspiele, Kammer 2| Falckenbergstr. 1
12./13. November, xx./yy. Dezember| 20 Uhr
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