Das Schamrock Festival der Dichterinnen findet diesmal im Werksviertel am Ostbahnhof statt – Schwerpunkt Osteuropa.

Augusta und Kalle Laar| © Jens Mauritz

Lyrikerinnen aus achtzehn Ländern treffen sich bei »Schamrock« in München. »Europe Inside/Outside« lautet in diesem Jahr das Motto des Festivals für weibliche Poesie unter der Leitung von Augusta Laar und ihrem Mann Kalle Aldis Laar, die auch gemeinsam als Electronic-Poetry-Duo Kunst oder Unfall auftreten.

Der diesjährige Länderschwerpunkt ist Osteuropa, Lyrik aus der Ukraine, Georgien, Serbien und Tschechien. Gibt es da Gemeinsamkeiten?
Kalle Laar: Es sind alles ehemalige Sowjetstaaten. Sie sind sehr auf Eigenständigkeit bedacht, durchlaufen einen Prozess der Identitätsfindung. Man kann fast sagen, dass jeder Schreibakt auch ein politischer Akt ist.
Augusta Laar: Die jungen Künstler tendieren nach Europa. Zugleich gibt es starke konservative, Russland zugewandte Kräfte etwa in Georgien, wo im Alltag noch das Patriarchentum herrscht. Frauen studieren, dennoch erwartet man von ihnen, dass sie sich im Privaten traditionell verhalten. Sich vom Bruder ihren Mann aussuchen lassen und dann zu Hause auf ihn warten und ihm die Füße waschen. Diese Spaltung findet sich häufig in Osteuropa und erzeugt eine große innere Spannung.

Spiegelt sich das in der Lyrik wieder?
AL: Oh ja. Lyrikerinnen setzen sich oft mit gesellschaftspolitischen Fragen und Genderthemen auseinander. Wie Eka Kevanishvili. In einem ihrer Gedichte ermahnt sich eine Frau an ihre Pflichten und erklärt: »Es wird Zeit, viel viel zärtlicher (nicht sexy) zu sein, /selbst dann wenn er nach einer Anderen riecht / und ich mich für die Familie/ wie ein vierfach gefaltetes Papierstück /unter das wackelnde Tischbein quetsche –«. Sie führt mit bösem Witz die alten Rollenbilder in Georgien vor, und lässt am Ende eine Vision der Liebe aufleuchten, in der sich beide wechselseitig die Füße waschen.
KL: Früher musste jede Art von Kritik verschlüsselt formuliert werden. Die Befreiung der Sprache verleiht vielen Gedichten eine große Frische. Sie sind direkt und unverblümt, ohne platt zu sein.
AL: Man spürt darin eine Dringlichkeit, die ich bei uns manchmal vermisse. Osteuropa hat großartige Lyrikerinnen wie die Tschechinnen Zuzana Lazarová und Marie St’astná. Doch viele tolle Texte sind nicht ins Deutsche übersetzt. Oksana Sabuschko etwa, die als bedeutendste Schriftstellerin der Ukraine gilt, stellt ihre Gedichte erstmals bei uns vor. Gemeinsam ist allen ein großes politisches Bewusstsein durch ihre Rolle als Frauen und Dichterinnen. Lyriker haben es immer schwer, aber für Frauen gilt das doppelt. Das verbindet.

Ist das wirklich noch immer so?
AL: Leider ja. Frauen bekommen seltener Preise, weniger Lesungen und haben größere Probleme, Verlage zu finden. Wir wollen ein Publikum für sie gewinnen. Doch das ist nicht leicht, wenn ein Festival hierzulande unbekannte Autorinnen vorstellt.

Der Stargast heuer ist Anne Waldman, die mit Bob Dylan und Ginsberg tourte und mit ihm die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics gründete.
KL: Tatsächlich ist sie erstaunlich bekannt unbekannt. Waldman gehört mit Ruth Weiss und Diane di Prima zum weiblichen Dreigestirn der Beat Poetry. Doch dort spiegelt sich sehr deutlich die Gendersituation wider. Gefeiert werden immer dieselben alten Männer: Ginsberg, Kerouac & Co. Das muss sich endlich ändern. Darum werde ich die Lecture Performance »Women Beat Poets« präsentieren.
AL: Anne Waldman ist eine unglaublich faszinierende Frau und Dichterin. Ihre Gedichte sprechen einen spontan an und sind zugleich präzise gegliedert, ausgefeilt und komplex. Sie hat eine Wahnsinnspräsenz, ist hochkonzentriert und hochenergetisch. Sie live zu erleben ist wirklich ein Ereignis.

Sie veranstaltengemeinsam Schamrock. Haben Sie eine klare Aufgabenteilung?
KL: Ich bin für die Organisation zuständig und mische mich als Musiker auch in die performative Gestaltung ein. Augusta wählt die Dichterinnen aus und spricht sie an.
AL: Dadurch, dass ich selbst Lyrik schreibe, habe ich einen anderen Zugang zu ihnen. Ich fahre zu vielen Festivals, um Kontakte zu knüpfen und Dichterinnen live zu erleben. Für ein Festival ist ja nicht nur die Qualität der Texte wichtig. Der Idealfall sind großartige Dichterinnen, die auch toll vorlesen und
performen.

Wie die Klangpoetin Kinga Tóth oder die Bachmann-Preisträgerin Olga Martynova.
AL: Genau. Aber ich lade auch völlig unbekannte Autorinnen ein, wenn mich ihre Texte berühren und begeistern. Mein Zugang zur Lyrik und meine Auswahl sind subjektiv. Preise sind für mich zweitrangig.
KL: Dieser akademische Anspruch, der im Literaturbetrieb herrscht, in dem sich überallderselbe Zirkel um sich selbst dreht, interessiert uns überhaupt nicht. In Ihren eigenen experimentellen Performances als Duo Kunst oder Unfall arbeiten Sie stark mit Improvisationen.
AL: Zwischen uns herrscht eine wortlose Übereinkunft auf der Bühne. Auf dieser Basis versuchen wir uns beide immer wieder neu zu überraschen.
KL: Wir werden heuer wieder eine Abschlussperformance mit Freundinnen präsentieren. Diesmal sind es Lynn Parkerson, die Leiterin des Brooklyn Ballet New York, und die fantastische Posaunistin Abbie Conant. Darauf sind wir selbst sehr gespannt.

Die Ankündigung des Festivals beginnt mit der Frage: Was kann Lyrik? Wie würden Sie diese beantworten?
AL: Für mich ist Lyrik mehr der Bühnenkunst oder Klangobjekten verwandt als der Prosa und dem Roman. Sie schafft mit der Kraft verdichteter Sprache eigene Räume, in die man hineintritt, in denen man Erfahrungen macht, ganz unmittelbar berührt wird. Sie kann die Wahrnehmung und den Blick auf die Welt verändern und Menschen über Grenzen hinweg verbinden. Darin liegt für mich ein utopisches Moment. Das soll auch bei »Schamrock« spürbar werden.
KL: Wir errichten für drei Tage eine poetische Stadt, in der Dichterinnen aus vielen Ländern zusammenkommen. Dadurch entsteht eine ganz besondere Energetik.
AL: Im schönsten Fall wird daraus eine richtige Welle, die alle mit sich fortträgt. Meine Hauptaufgabe ist es, das Programm so zu gestalten, dass solch eine Welle entstehen kann. Das erfordert viel Arbeit, und im Vorfeld stöhne ich manchmal. Aber für mich ist »Schamrock« ein Energieschub, beglückend und inspirierend, die reine Freude. Etwas von diesem Gefühl möchte ich auch den Besuchern vermitteln. ||

INTERNATIONALE POETRY BIENNALE.
SCHAMROCK, FESTIVAL DER DICHTERINNEN
26.–28. Oktober| whiteBOX.art | Atelierstr. 18

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