Abseits des Mainstreams: Gerhard Köpf wird siebzig.
Wer kennt Brigitte Burmeister oder Otto Jägersberg? Wem sagen die Namen Bernd Jentzsch, Ingomar von Kieseritzky, Ralf Thenior oder Jürgen Theobaldy noch was? Alles Autoren, die vor drei oder vier Jahrzehnten als die Zukunft der deutschen Literatur gefeiert wurden. So gut wie verschwunden sind sie in einem von Jahr zu Jahr rasanter werdenden Literaturzirkus. Natürlich, älter sind sie geworden. Aber nicht unbedingt schlechter. Zu ihnen gehört Gerhard Köpf, vor siebzig Jahren in Pfronten im Allgäu geboren und seit Jahrzehnten in München zu Hause. Wer erinnert sich? Vor gut dreißig Jahren wurde er enthusiastisch gelobt und mit großen Vorschusslorbeeren bedacht. Sein Debütband »Innerfern« (1983) galt als Sensation.
Der Roman erzählt – aus unterschiedlichen Perspektiven und mit zahllosen Anspielungen auf namhafte Autoren der europäischen Literatur – von der letztlich vergeblichen Suche nach der hinter vielen Masken verborgenen Person der geistesverwirrten Künstlerin Karlina Piloti, in deren Wahnsinn stets die »schimmernde Verlockung des Möglichen« aufscheint. Reales Vorbild der Protagonistin ist die geheimnisvolle Dichterin Ilse Schneider-Lengyel, in deren Haus am Bannwaldsee die erste Tagung der Gruppe 47 stattgefunden hat. Die auf »Innerfern« folgenden, ebenfalls in einem magisch-realen Allgäu angesiedelten und die Grenzen zwischen Imagination und Wirklichkeit souverän aufhebenden Romane »Die Strecke« (1985) und »Die Erbengemeinschaft« (1987) wurden als große deutsche Erzählkunst gefeiert, und noch der von Märchen, Grotesken und Kalendergeschichten übervolle, die westdeutsche Nachkriegsgeschichte auf raffiniert-vertrackte Weise schildernde vierte Roman »Eulensehen« (1989) fand einige Aufmerksamkeit.
Dann wurde es immer stiller um diesen ausgefuchsten Erzähler, der viele Jahre als Literaturwissenschaftler in Duisburg lehrte – was auch bedeutet, dass er sich wenig finanzielle Sorgen zu machen und am sogenannten literarischen Leben nicht unbedingt teilzunehmen brauchte. Ohne permanentes Adabei aber geht’s seit zwei Jahrzehnten offenbar nicht mehr. Obwohl Köpf nach wie vor lesenswerte Prosabände vorlegte, die wunderbare Novelle »Ein alter Herr« (2006) zum Beispiel oder »Als Gottes Atem leiser ging« (2010), eine liebevolle Hommage an das alte Künstler-Schwabing und den skurrilen Grafen Eduard von Keyserling (1855–1918), obwohl er, gesammelt im Band »Die Vorzüge der Windhunde« (2004), ungewöhnlich kluge Essays schrieb, in denen er sich als scharfsinniger Verächter unserer als geist-, manieren- und stillos empfundenen Gegenwart profilierte: Er wurde immer weniger beachtet. An seinem eigenen Lebensschicksal, das eine intensive Hinwendung zu Medizin und Psychiatrie mit sich brachte, oder an seiner stilvoll gepflegten Öffentlichkeitsabstinenz allein liegt das nicht. Schon als man von Fräuleinwundern und Wenderomanen sprach, war Köpf nicht mehr dabei.
Vom großen S. Fischer Verlag führte sein schriftstellerischer Weg – über Luchterhand, Klöpfer & Meyer und Allitera – zum Wiener Verlagshaus Braumüller. Dort ist, nach dem Roman »Das Dorf der 13 Dörfer« (2017), das großartige Debüt »Innerfern« neu aufgelegt worden, und auf den ebenfalls zum Siebzigsten erschienenen und jedenfalls durch seinen Titel darauf Bezug nehmenden Roman »Außerfern« darf man gespannt sein. Der Literaturbetrieb wird sich wohl weiterhin schwertun mit diesem sperrigen Autor, dem man zu seinem Geburtstag nichts mehr wünschen möchte als möglichst viele Leserinnen und Leser. Wer nicht nur flott erzählte Schreibschulprosa lesen mag, sondern auch sprachlich souveräne, inhaltlich originelle, manchmal auch zum Brüllen komische und kauzige Geschichten abseits des Mainstreams schätzt, der ist bei Gerhard Köpf bestens aufgehoben. Und manchmal tritt er ja doch öffentlich auf: Die Buchhandlung Lentner wird seinen siebzigsten Geburtstag ausgiebig feiern. ||
GERHARD KÖPF
DAS DORF DER 13 DÖRFER
Braumüller Verlag, 2017 | 237 Seiten | 24 Euro
INNERFERN
Braumüller Verlag, 2018 (ET 1983) | 209 Seiten | 22 Euro
AUSSERFERN
Braumüller Verlag, 2018 | 144 Seiten | 20 Euro
AUTORENLESUNG ZUM 70. GEBURTSTAG
Buchhandlung Lentner| Marienplatz 8 / Eingang Weinstraße
21. September| 20 Uhr
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