Josef Bierbichler setzt in »Zwei Herren im Anzug« seinen Roman »Mittelreich« als radikal antiidyllischen Heimatfilm um. Aber wird er seiner Vorlage gerecht?

Josef Bierbichler und Gerhard Liebmann in »Zwei Herren im Anzug« | © Marco Nagel, X Verleih AG

Fremd und feindlich sitzen sich der alte Seewirt Pankraz (Josef Bierbichler) und sein Sohn Semi (Simon Donatz) nach dem Tod der Mutter gegenüber. Mit einer Beerdigung beginnt eine Reise in die Erinnerung, die durch sieben Jahrzehnte deutscher Geschichte führt. Bierbichlers radikal antiidyllischer Heimatfilm nach Motiven seines Romans »Mittelreich« zeigt ein untergegangenes ländliches Bayern, erzählt von inneren Verwüstungen, politischer Borniertheit und verdrängter Schuld, davon, was diese Welt in und mit den Menschen anrichtet. Alle verfehlen sie das Glück: Pankraz, der eigentlich Sänger werden wollte, Herr und Knecht ist im eigenen Haus, in dem böse bigotte Weiber (Irm Hermann, Sarah Camp) regieren, ein tyrannischer Patriarch und in seiner emotionalen Verpanzerung Gefangener. Seine sanfte und widerspenstige Frau (Martina Gedeck), die ihren Sohn Semi innig liebt und ihn, als er im Klosterinternat missbraucht wird, grausam allein lässt. Semi, der sich nicht aussöhnen kann. In einer Szene voller Wucht und Pathos verflucht Pankraz in einer Sturmnacht zu Wagner-Arien sein Leben.

Bierbichlers Blick ist schonungslos unsentimental und einfühlsam zugleich. Rundum geglückt jedoch ist seine Romanadaption nicht, die stilistisch zerrissen wirkt und keinen tragenden Erzählrhythmus findet. Es gibt wunderbar leise poetische Kinobilder in Schwarz-Weiß, eine überlange Faschingsgroteske mit Hitlermaskerade und eine wüste todessehnsuchts- und heimwehtrunkene ödipale Fantasie, die an den jungen Achternbusch erinnert. Atmosphärisch dichte, detailgenaue Dorfszenen stehen neben theaterhaften und surrealen Passagen, wenn etwa die titelgebenden Herren (Ex-Kammerspiele-Intendant Johan Simons, Peter Brombacher), die Pankraz’ Erinnerungen begleiten, am Ende im See verschwinden. Der mitreißende Bierbichler’sche Sprachfluss, der im Roman auch die disparatesten Elemente zusammenhält, fehlt hier. Trotz seiner Schwächen aber ist dieser fantastisch besetzte Film, der unter die Haut geht und einem immer wieder ans Herz greift, unbedingt sehenswert. ||

ZWEI HERREN IM ANZUG
Deutschland 2018 | Regie und Drehbuch: Josef Bierbichler
Mit: Josef Bierbichler, Martina Gedeck, Simon Donatz, Irm Hermann, Sarah Camp, Florian Karlheim u. a. | 139 Minuten
Kinostart: 22. März
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