Mit Minimalismus zum Maximum: Spielregeln, Abweichungen und neue Wahrnehmungsweisen von Künstlern der 60er Jahre bereichern bis heute.
Lyon ist nicht der nächste Weg, aber die Ausstellung ist einzigartig. »A Different Way to Move« versammelt Werke, wie sie in dieser Dichte der Darstellung, der Fülle und Zusammenschau in Europa bisher nicht zu sehen waren. Ein Jubiläumspräsent zum 40-jährigen Bestehen des Centre Pompidou, das nirgendwo sonst als in Lyon zu sehen ist. Freilich ist der Tanz als Kunstform inzwischen im Museum angekommen, wie die Ausstellung »Move« in London und im Haus der Kunst, Wiederaufführungen von klassischen Choreografien bei großen Kunstschauen wie der documenta, etwa von Trisha Brown, oder der Film zu Anna Halprin auf der aktuellen Binnale in Venedig und die Retrospektive von Yvonne Rainer in Bregenz und Köln belegen.
Es geht hier um die 60er und 70er Jahre – und um das enge wechselseitige Verhältnis der damals neuen, nicht mehr nur »bildenden« Kunst (Performance, Minimal Art, Conceptual Art) und des neuen »konzeptuellen« Tanzes, und nicht zufällig steht das Kapitel »Der Minimalismus von Trisha Brown« im Mittelpunkt der Ausstellung und des Katalogs. Dessen Text ist zweisprachig, französisch und englisch (denn Englisch ist die Tanz- und Kunstweltsprache). Die Präsentation macht deutlich, warum das Interesse der neuen Choreografen der 90er Jahre und das der Kunstwelt am Postmodern Dance vor, während und nach dem Judson Dance Theater bis heute anhält.
So intensiv geforscht und gedacht wurde damals, so frei und unkompliziert realisiert, in enger, immer wieder neuer Zusammenarbeit eines Pools interdisziplinär arbeitender Künstler, in Form befreundeter Gruppen oder wechselnder Kollaborationen. Gegen Ende der 50er Jahre zieht es viele nach New York, sie teilen sich ihr Atelier wie der Maler Frank Stella und der Bildhauer und Schreibmaschinenbuchstaben-Poet Carl Andre oder ihr Tanzstudio wie Trisha Brown und Simone Forti, die damals noch mit dem Bildhauer, Performer, Filmer Robert Morris verheiratet ist. Arbeiten mit Musikern wie La Monte Young oder Fluxus-Künstlern wie Yoko Ono zusammen. Wichtig war um 1960 die Vermittlung der Ideen des experimentellen Komponisten John Cage an die Künstler und – durch den Musiker Robert Dunn – an die Tanzschaffenden im Merce Cunningham Studio. Dunn war es auch, der 1962 den ersten Abend im Judson Dance Theater entwarf und »Concert« betitelte: Unbestimmtheit, Regelbasiertheit, Spontaneität, Unsynchronisiertheit, Text- und Filmintegration wurden Kennzeichen der nicht mehr narrativen choreografischen Experimente.
Viele der präsentierten »Werke« – jenseits des traditionellen bildkünstlerischen Werkbegriffs – sind gut bekannt und als ikonische Motive der Kunst- und Tanzgeschichte in Abbildungen zugänglich. Auch die künstlerischen Konzepte sind längst gut erforscht. Doch die Zusammenschau, die Verknüpfung in der Katalogdarstellung führt bestens ein in diese reiche Aufbruchszeit, lädt zu nochmaliger Beschäftigung ein. Erläutert Konzepte der Serialität und die Erweiterung des Skulpturbegriffs zur körperlichen Erfahrung, zur kalkulierten wie individuellen Wahrnehmung und zum transmedialen Konzept, etwa bei
Robert Morris und Richard Serra. Der greift zur Film-Performance, in der Hände Sand scharren oder herabfallende Bleistücke zu fangen versuchen – inspiriert auch vom »Hand Movie« Yvonne Rainers. Wenn Morris identische Winkelformen unterschiedlich positionierte oder eine Ausstellung von Tag zu Tag radikal veränderte, forderte dies die Wahrnemung als refelxiven und als körperlichen Prozess heraus.
Das Buch zeichnet die Reflexion von Wahrnehmungsmodi nach bis 1979 zu Lucinda Childs’ »Dance« mit Musik von Philipp Glass und projiziertem Film des seriellen Konzeptualisten Sol LeWitt. Angefangen hat vielleicht doch alles in den 50ern in Kalifornien bei Anna Halprin und ihrem Dance Deck, einer Open Air-Tanzfläche: mit ihrem Konzept von »Tasks« als Set von Instruktionen für gewöhnliche und zufällige Bewegungen.den Füßen. ||
A DIFFERENT WAY TO MOVE. MINIMALISMES, NEW YORK, 1960–1980
Hg. von Marcella Lista | Hatje Cantz, 2017
französisch/englisch | 224 Seiten, 150 Abb. 39,80 Euro || Die Ausstellung im Carré d’Art in Nîmes läuft noch bis 17. September
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