Die Hybris des Getriebenen – Herbert Föttinger inszeniert »Don Giovanni« als Lover zwischen Anmaßung und Wahnsinn.

Starke Bilder: Sophie Mitterhuber entrinnt als Zerlina nur fast Mathias Hausmann, dem besessenen Frauenheld Don Giovanni | © Thomas Dashuber

Bis in die 1960er Jahre hat die Bayerische Staatsoper Mozarts »Don Giovanni« immer mal wieder im Cuvilliéstheater aufgeführt, das den Dimensionen des Uraufführungs ortes, dem Prager Ständetheater, ähnelt. Jetzt findet hier mit der »Oper aller Opern« (E.T.A. Hoffmann) die letzte Premiere des Gärtnerplatztheaters in einem Ausweichquartier vor dem Wiedereinzug ins generalsanierte Stamm haus statt und damit auch die letzte des scheidenden Chefdirigenten Marco Comin. Unter seiner Leitung klingt das Orchester des Gärtnerplatztheaters prall, knackig und doch differenziert. Schon die Ouvertüre hat Power und Drive und zeigt einen Titelhelden, der gierig an der Zigarette »danach« zieht, während es um ihn herum gewittert. Er fordert hier nicht mehr nur die Lebenden und vor allem die Frauen heraus, und auch nicht den von ihm getöteten Vater Donna Annas, sondern gleich Gott: in Gestalt eines steinernen Jesus, den er von der Wand holt, missbraucht und sich dann eine finale Kugel in den Kopf schießt.

Herbert Föttinger zeigt theatralisch und mit leichter Hand die erotische und aggressive Sprengkraft, die Don Giovanni freilegt: erstere bei den Frauen, letztere bei den Männern. So wird das Sextett im zweiten Akt zum vitalen, gefährlichen Zentrum, wenn Leporello, der sich als Don Giovanni Elvira genähert hat, plötzlich auch Don Ottavio und Donna Anna gegenübersieht. Da findet auf einmal eine nervöse in sich kreisende Dauerbewegung auf der Bühne statt, die das Potenzial für den ganz großen Knall hätte, der dann aber doch ausbleibt. Überhaupt gibt es selten Orte der Ruhe auf der Drehbühne aus drei identischen weißen Räumen mit Stuck und antikisierenden schwarzen Türen, die nur mit Möbeln oder Requisiten konkret werden (Walter Vogelweider): gerade mal beim »Dalla sua pace« Don Ottavios (sehr klar und geradlinig ein Buchhalter mit Herz: Lucian Krasznec) oder bei Juans zartem Ständchen, das er in den Laptop tippt und singt. Camille Schnoor gibt Elvira flammende Mezzoglut und singt sich immer mehr in tiefe Verzweiflung hinein. Jennifer O’Loughlins intensive Donna Anna ist nicht minder glühend Giovanni verfallen, hindert ihn zu Beginn mit allen Mitteln am Gehen und verrät ihn später aus Rache fürs Verlassenwerden, nicht, weil er ihren Vater getötet hat.

Mathias Hausmann (Zweitbesetzung Günter Papendell) ist als Giovanni ein attraktiver Mann im besten Alter, ein Macho mit Charme, dessen forsche Haltung nicht zuletzt Zerlina (eine kühle Karrieristin im Sekretärinnenlook: Sophie Mitterhuber mit leichtem, aber substanzreichem Sopran) im Handumdrehen verführt. Ihre Verlobungsparty an der Seite von Masetto (ein hitziger Prackl: Matija Meic) sieht aus wie ein entgleister Junggesellenabschied mit Männlein wie Weiblein im kurzen Röckchen plus goldener Maske, darunter barbusige Frauen oder Männer mit nacktem Oberkörper und in High Heels! Am Ende führt Giovanni mit Diener Leporello (ein sympathischer Nerd im Kapuzenanorak und Laptop unterm Arm: der wendige Bassbariton Levente Páll) ein abstraktes Ritual ganz ohne Essen auf, das die beiden wohl jeden Abend spielen – diesmal mit tödlichem Ausgang. ||

DON GIOVANNI
Cuvilliéstheater| 8.–10., 12. Juli
19 Uhr | Tickets: 089 21851960
Website

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