Kunst hinter Glas, die sich flüchtigen Blicken oder platten Nasen preisgibt: ein Atelierbesuch als Schaufenster-Spaziergang
Schaufenster bieten nicht nur Läden und Produkten die Gelegenheit, sich zu präsentieren, sondern sind das Gesicht der Stadt oder eines Viertels, das Fremde als erstes wahrnehmen, wenn sie durch die Straßen schlendern. Sie können die Umgebung beleben und auch als Medien genutzt werden, mitdenen man ungefiltert und spontan auf die Öffentlichkeit einwirken kann. Der Atelierbesuch dieser Ausgabe widmet sich deshalb solchen kleinen Kunst-Auslagen und Fensterbildern, jederzeit einsehbar und vielerorts mit direktem Künstlerkontakt. Ein Blick in Schaukästen und Schaufenster, die nicht bezwecken, aus Passanten Konsumenten zu machen oder eine Institution zu verkörpern, sondern irritieren und zum Nachdenken anregen wollen. Oder einfach nur erfreuen und revitalisieren.
Auch wenn heute weniger Zeit zum Flanieren bleibt und viele im Internet einkaufen – Schaufenster waren und sind ein Massenmedium. Speziell seit der Belle Époque entfalteten und steigerten sie ihre Anreize und Verführungskraft. Der Schaufensterbummel zu den nachts erleuchteten Waren-Vivarien wurde zum kapitalistischen Volkssport. Kaufhäuser stellten spezielle Reklamefachkräfte und Künstler als Dekorateure ein.In Fachliteratur und Theorie werden sie auch »Geschmack prägende moralische Anstalten« genannt. Der Kulturreformer Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle, sah sie als Chance für einen »beständigen öffentlichen Lehrkursus«. Sie wurden Werkzeuge ideologischer Propaganda oder Schauplätze künstlerischer Botschaften, etwa von Andy Warhol und Salvador Dalí oder den Provokationen der Performance Art. Geblieben ist der mehr oder weniger moralische Kommerz und die Imagebildung: Auch heute leisten sich viele der großen Mode- und Schmuckunternehmen in den Großstädten den Einsatz von Künstlern und Designern, um spektakuläre Schaufenster-Inszenierungen zu platzieren, in denen das Produkt oft nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle zu spielen scheint.
Pinokiothek und Kreativwirtschaftsstandort
In diesem Kunstspaziergang freilich soll es nicht um die großen Bühnen der Fußgängerzone oder der Maximilianstraße mit ihrer vorrangigen Konsumästhetik gehen, sondern um ganz besondere Glaskästen, in denen ästhetische oder gesellschaftliche Nachrichten inszeniert werden. So gibt es in der Maxvorstadt neben den Pinakotheken auch noch eine Pinokiothek der Moderne, ein Schaufenster in der Augustenstraße 100, das schon seit acht Jahren unter der Ägide des Künstlerpaares Klaus Dietl und Stephanie Müller mit wechselnden Kleinausstellungen bestückt wird. »Immer eine Nasenlänge voraus« ist der Leitspruch des Schaukastens, der von jedem Künstler oder Kreativen genutzt werden kann, dessen Konzept überzeugt. Momentan dient der kleine Off-Space Martin Krejci vom »Institut für Leistungsabfall und Kontemplation« als Ort scheinbar wahllos gehängter »Pseudo«-Dokumente des Künstlers, vom Röntgenbild bis zum Führungszeugnis. Krejci spielt als »wichtigster Tesafi lmkünstler Deutschlands« auch mit dem gängigen Kunstjargon. Ein genaueres Studium bei der Frage »Wer kennt diesen Mann?« reißt die Passanten kurze Zeit aus der durchgenormten Effektivität ihres Tages und schenkt ihnen ein paar Momente der Kontemplation und Reflexion.
Ein weiterer Kunstraum hinter Glas findet sich in der U-Bahn-Station Universität, der regelmäßig von Studierenden der Kunstakademie mit speziellen Projekten belebt wird. Der Kunstverein zeigt in seinem Schaufenster in den Hofgartenarkaden eine kontinuierliche Grupenausstellung »Theatre of Measurement« (bis 20. Dez.). Und seit Mitte 2016 finden sichzwei Schaukästen sogar direkt am Marienplatz. In der Donisl-Passage ermöglicht das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft interessierten Künstlern und Kreativen eine Ausstellungsfläche im Herzen der Stadt. Aktuell (bis 13. Juni) zeigt ein Fenster Tiermosaikskulpturen von Karin Gerwien, das andere das Fotografie-Projekt »Habseligkeiten« der Künstlerin Martina Prutscher, die den Inhalt der Taschen ihrer Freunde zur Schau stellt.
Eine der bekanntesten und traditionsreichsten Schaufenster- »Bühnen« der Stadt schließlich findet man in der Leopoldstraße27. Seit mehr als zwanzig Jahren zieht das Schaufenster von Optik Hartogs die Blicke der Münchner mit oft politischen Statements und Installationen auf sich. Aktuell ist eine Reaktion auf Trumps frauenfeindliche Kommentare zu sehen, die von den beiden dem Laden den Namen gebenden Geschäftsführern installiert wurde. Außer ihnen bespielen ihr Kompagnon Kai Steggewentz und die Künstlerinnen Maren Strack, Dorit Lang und Astrid Dengjel diese Fensterbühne regelmäßig.
Fakes und Fensterbilder
Das Gesicht Neuhausens prägen zwei Künstlerateliers in ehemaligen Ladengeschäften mit, die ihre Schaufenster als Ausstellungsfläche nutzen. Der Künstler und Designer JürgenKatzenberger, der in der Schulstraße 21, »im Herzen des Rotkreuzplatzneuhausens«, firmiert, liebt es, Passanten zu irritieren und ihr »Schubladendenken aufzuweichen«. So stellte er letztes Jahr mehr als ein Dutzend verschiedenfarbige Caps und später Damenschuhe aus, die jedoch alle aus Papier hergestellt waren. Viele Passanten interessierten sich für die Produkte, doch aus einem intendierten Käppi- oder Schuhkauf wurde so ein Gespräch über Kunst und Täuschung. Katzenberger sieht seine Werkstatt, die er gemeinsam mit der Künstlerin Yani Wang nutzt, als »offenes Atelier«, das das Viertel beleben soll. Zu Ostern hatte er Kunden eingeladen, durch ein Bilderrätsel in Interaktion mit der Schaufensterkunst zu treten.
Nach Überquerung des Mittleren Rings und in einemunbekannteren, aber nicht weniger schönen Teil von Neuhausen angelangt, dem St. Vinzenz-Viertel, fällt einem in der Blutenburgstraße das Schaufenster der Hausnummer 57 auf. Es gehört der »Gestalterin für schöne Dinge«, Alexandra Lukaschewitz. Schon seit zehn Jahrengestaltet sie ihr Ladenfenstermit »Fensterbildern«. Ursprünglich als Prokrastionationsprojekt der Illustratorin und Papierkünstlerin gedacht, wurden ihre Präsentationen mit Papiertaxidermien, Collagen und Kostümen schnellso beliebt, dass ihr Schaufensternicht nur das Leben der Passanten beeinflusst, sondern auch ihr Leben umgekrempelt hat. Inzwischen arbeitet die einst am Computer gestaltende Designerin fast ausschließlich analog und stattet mit ihrer Kunst Showrooms ebenso aus wie private Kunden.Ihre Fensterbilder haben nicht nur aktuelle Bezüge wie etwa zu der beliebten amerikanischen Serie »Game of Thrones«, sondern spielen oft auf Münchner Ereignisse oder Menschen und Tiere an, die ihr etwas bedeuten.
So kommentierte sie das Oktoberfest mit einem Dackelkarussel mit Biermamsell und wird im Juni wohl Bezug auf das Skateboardevent Munich Mash oder die 850-Jahre-Jubiläumsfeier (23.–29. Juni) ihresStadtviertels Neuhausen nehmen »Mein Fensterbild ist für mich wie Instant Instagram. Die Leute reagieren direkt darauf und geben mir Feedback.« Ästhetik und einen feinen Witz strahlen ihre Tierfiguren mit Charakter, ihre Robotoren, Dinos und Vögel aus, die in wechselnden Arrangements in Szene gesetzt werden.
Schaufenster wie diese findet man speziell auch in Untergiesing am Hans-Mielich-Platz oder im Glockenbachviertel, meist bei Designern, Grafi kern oder Künstlern. Gerade auf den Viertelfesten, den Kultouren, manchmal parallel zu den Hoffl ohmärkten und weiteren Aktionen wie »dein Viertel leuchtet«, kann man sich vom kreativen München anblinzeln und in den Bann ziehen lassen. ||
Pinokiothek der Moderne| Augustenstr. 100
AkademieGalerie München| U-Bahn Universität, Zugang Nord
Kunstverein München| Galeriestraße 4
Jürgen Katzenberger| Schulstr. 21
Alexandra Lukaschewitz| Blutenburgstraße 57
Das könnte Sie auch interessieren:
Biennale Venedig: Pavlo Makov, Katharina Fritsch, Malgorzata Mirga-Tas ...
Inge Morath in der Versicherungskammer Kulturstiftung
Klaus Kinold: Der Architekturfotograf in der Walter Storms Galerie
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton