Der Filmemacher und literarische Debütant Jan Schomburg über eigene Dämonen, Erich Kästner und das Potenzial von Verlusten.

Jan Schomburg | © Gunter Glücklich

Er schrieb und verfilmte mit Sandra Hüller den Kinofilm »Über uns das All« sowie »Vergiss mein Ich« mit Maria Schrader, mit der er auch das Drehbuch zu dem Stefan-Zweig-Film »Vor der Morgenröte« verfasste. Am 4. April lesen Schrader und Schomburg im Literaturhaus aus seinem ersten Roman: »Das Licht und die Geräusche« erzählt von der Schülerin Johanna, ihrer großen Liebe Boris, dem Versuch, an seiner portugiesischen Freundin Ana-Clara etwas Liebenswertes und Gründe gegen den Selbstmord zu finden.

Herr Schomburg, die Mutter Ihrer Romanfigur Johanna sagt: »Das Tollste an der Schule ist doch, dass man sich mit Menschen auseinandersetzen muss, mit denen man sonst niemals was zu tun hätte.« Gilt das nicht auch fürs Schreiben?
Auf jeden Fall gelangt man beim Schreiben im eigenen Nachdenken über die Dinge an Punkte, an die man sonst nicht kommen würde. Der Satz bezieht sich unter anderen auf Marcel, der im Roman in einen Vorfall auf einer Klassenfahrt involviert ist, den ich ähnlich erlebt habe und über den ich zuvor nie tiefer nachgedacht hatte. Jetzt habe ich versucht zu verstehen, was für ein Mensch Marcel ist, warum er sich so verhalten hat.

Konnten Sie ihn durchdringen?
Zumindest habe ich erkannt, wie vordergründig viele meiner Einschätzungen waren; dass ein Teil von Marcel auch in mir steckt und man sich durch solche Figuren mit den eigenen Dämonen beschäftigen kann – ohne dass es eine Therapie ist. Kürzlich habe ich in einem Drehbuch, das ich hoffentlich nächstes Jahr verfilmen werde, eine Vergewaltigungsszene geschrieben. Es war extrem befremdlich, sich in so eine Person und ihre Lust hineinzuversetzen, die man rein zivilisatorisch nie zulassen würde. Aber es stimmt schon, solche Prozesse sind für mich das Aufregende beim Schreiben.

Seit bald 20 Jahren machen Sie Filme, führen Regie, schreiben Drehbücher. Wieso jetzt ein Roman?
Tatsächlich wollte ich schon als Schüler Schriftsteller werden. Wohl auch, weil ich Kästner geliebt habe; seine Kinderromane und auch alles andere von ihm habe ich rauf und runter gelesen. Später schien es mir, als müsste ich mich von ihm befreien. Kästner hat so etwas Moralisierendes, Augenzwinkerndes, Altväterliches. Genau das habe ich auch in mir, also dass sich am Ende am besten alle Konflikte in Liebe auflösen. Mit jedem Drehbuch, jedem Prosatext schreibe ich auch dagegen an …

Der Roman als Befreiungsschlag?
Wie gesagt, ich wollte schon immer Prosa schreiben, hatte es oft versucht, nach ein paar Seiten aber das Gefühl, es nicht zu können – auch weil es so anders als für den Film ist. Von der Erzählung einer Freundin inspiriert, begann ich vor sieben Jahren eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Die Portugiesin«. Als ich endlich fertig war, meinten einige Testleser, dass sie gerne mehr erfahren würden. Da habe ich herausgefunden, dass die Geschichte das erste Kapitel eines Romans ist.

Wie unterscheidet sich dieses Schreiben?
Ein Drehbuch ist viel struktureller … und es ist immer nur eine Skizze, also noch nicht das eigentliche Werk. Das heißt, man kann einfach drauflosschreiben und es im Film doch ganz anders machen. Ein Wort zu schreiben und zu wissen, das ist es dann schon: Diese Erfahrung mit dem Roman war sehr schön, hatte aber auch etwas höchst Beunruhigendes.

Einen ähnlichen Gedanken formuliert Johanna: »Wenn man einmal was erzählt hat, dann ist es da, und es ist auf eine bestimmte Weise festgelegt und nicht mehr richtig veränderbar, und bevor das passiert, will ich noch mal darüber nachdenken.«
Das kenne ich eher aus dem eigenen Leben, wenn man Erfahrungen zu schnell zu Erzählungen macht. Bei unangenehmen Erlebnissen kann das Vorteile haben, weil man sie dadurch von sich abspaltet, in Distanz zu ihnen geht. Leider ist es bei schönen Dingen ähnlich: Zu oft erzählt, schleifen sich Formulierungen ein und die tatsächliche Erfahrung verblasst. Irgendwann ist es nur noch eine Anekdote. Beim Roman konnte ich hingegen sozusagen auf Sicht fahren. Oft habe ich begonnen, ohne zu wissen, was passieren wird, und die Handlung hat sich wie von allein vor meinen Augen aufgebaut. Das kenne ich vom Drehbuchschreiben so nicht; ich hatte erstmals das Gefühl, dass mir eine Geschichte erzählt wird, die ich nur aufschreibe.

Exakt das Gegenteil von Billy Wilders Drehbuchtipp: Wisse, wohin du willst.
Genau! Ich schreibe gerade am zweiten Roman – eine wild-komplexe historische Fabuliererei im München um 1900 – und merke noch stärker, dass ich das so beim Drehbuch nie wagen würde. Was Johanna sagt, ist, glaube ich, nicht vergleichbar, weil für mich das Romanschreiben schon fast eine schamanische Erfahrung ist. Im Nachhinein erscheint es mir manchmal wie ein fremder Text.

Vielleicht auch, weil Sie aus der Sicht eines jungen Mädchens erzählen. Sie haben mal gesagt, dass Jugendliche ihre Umgebung unvoreingenommener betrachten. War das ein Antrieb: eigene, festgefahrene Vorstellungen zu untersuchen?
Absolut. Wobei ich für Johanna so etwas wie eine ideale jugendliche Sicht übernommen habe, ich würde das vielleicht als »unaufgeregtes intensives Betrachten der Welt« bezeichnen. Als ich in dem Alter war, fiel es mir schwer zu akzeptieren, dass man in verschiedene, sich widersprechende Zustände gerät, und sehnte mich danach, eine konsistente, also kontextunabhängige Person zu werden. Johanna hat weniger Probleme, diese Unterschiede zu akzeptieren.

Spannend finde ich, dass Sie wie in Ihren beiden Spielfilmen eine weibliche Hauptfigur gewählt haben.
Das fällt mir so zum ersten Mal auf … Ich habe auch mehrere Drehbücher aus Männerperspektive geschrieben, davon ist aber noch nichts zustande gekommen. Abgesehen davon, dass ich die üblichen Zuschreibungen für Männer und Frauen nicht sonderlich interessant finde, ist es vielleicht doch so, dass die leichte Distanz zum weiblichen Blick gewisse Dinge vereinfacht, weil sie für mich abstrakter
werden. Wahrscheinlich wäre es schwieriger, über einen 40-jährigen Mann zu schreiben, weil mir das zu nah wäre.

Was sich durch Ihr bisheriges Werk zieht, ist das Thema Verlust. Und zwar keine banale Trennung, sondern deutlich tragischere Formen.
Ich glaube, es ist weniger der Verlust, der mich interessiert, sondern das, was daraus folgt. Jede Form von Verlust zieht eine Freiheit nach sich – natürlich auch eine Unfreiheit, es ist beides –, aber die Kategorien, wie man die Welt sieht, werden komplett neu gemischt. Das ist in den Filmen so und auch im Roman: Durch die spezifische Art von Verlust werden plötzlich ganz andere Dinge möglich.

Der Romantitel »Das Licht und die Geräusche« stammt von Ihrer Ziehtochter und ist Johannas Antwort auf Boris’ Frage nach einem überzeugenden Grund, sich nicht umzubringen. Wie lautet Ihre?
Ich kenne keine gute. Diese ist die beste, die ich bisher gehört habe. Ich finde es romantisch, wenn eine theoretische Idee über die Biologie siegt, und deswegen auch wunderbar, eine Ziehtochter zu haben, mit der mich kein biologisches Interesse verbindet und die ich trotzdem liebe. Selbstmord ist für mich keine nahe Option, auch wenn ich großen Respekt davor habe und es verstehen kann. Mein Gehirn ist zufällig so gepolt, dass ich ein zufriedener Mensch bin. Wenn ich allerdings anfange, über alles nachzudenken, kommt es mir auch albern vor. »Das Leben macht doch Spaß« fände ich jedenfalls ein enttäuschendes Argument. ||

LESUNG MIT JAN SCHOMBURG UND MARIA SCHRADER
Literaturhaus | 4. April | 20 Uhr

JAN SCHOMBURG:
DAS LICHT UND DIE GERÄUSCHE
dtv, 2017 | 256 Seiten | 20 Euro

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