Zwei Sinfonien – zwei Choreografen. Für die neue Gärtnerplatz-Premiere setzt sich Ballettchef Karl Alfred Schreiner mit Sibelius’ Nr. 7 auseinander, und der Ire Michael Keegan-Dolan hat Dvořáks Nr. 8 gewählt. Ein Probenbesuch.

Michael Keegan-Dolan | © privat

Die Außenstelle des Gärtnerplatztheaters ist ein unerwartet freundlicher Ort. In den Räumen der ehemaligen Filmhochschule hinterm Giesinger Bahnhof sind die Flure weit, der Pförtner hat Tiefe und Humor und die Tänzer zeigen ein angenehm ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Mitten in der Nachmittagsprobe wird Einlass gewährt. Im Ballettsaal läuft nicht Musik, sondern eine Diskussion. Der irische Choreograf Michael Keegan-Dolan sitzt im Kreis mit einer Gruppe Tänzer und spricht darüber, ob man die Dinge, die einen beschäftigen, vor der Tür lassen sollte, und welche Möglichkeiten es gäbe, sie produktiv für die Bühne zu nutzen. Zustimmendes Nicken, aber auch Widerspruch aus der Gruppe – man hört einander zu.

Schnell wird klar: In seiner ganzen Herangehensweise setzt Keegan-Dolan auf gegenseitigen Respekt und Augenhöhe. Mit ihm arbeiten soll nur, wer wirklich will. Und gearbeitet wird an »Jean und Antonín«, einem zweiteiligen Ballettabend, der Anfang April in der Reithalle uraufgeführt wird. So brüderlich narrativ, wie der Titel klingt, ist er nicht gemeint. Getauft ist der Abend nach den Komponisten der verwendeten Musik. Jean ist Sibelius, Antonín ist Dvořák. Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner wird zu Sibelius’ 7. Sinfonie die Vergänglichkeit des Seins und des Moments tänzerisch befragen – es geht um die Wehmut hinter dem Zurücklassenmüssen. Keegan-Dolan, der mit seinem Ende der 90er Jahre gegründeten Fabulous Beast Dance Theatre für stark theatral und fantasievoll bildhafte Produktionen bekannt ist, wurde eingeladen, sich mit Dvořáks 8. Sinfonie auseinanderzusetzen. In der Probenwoche Anfang März arbeitet er gerade mit zwei Tänzerinnen am Beginn des zweiten Satzes, Adagio. Dabei ist er ein softer Typ, leise und weich in der Stimme zählt er die Achten.

Wenn Keegan-Dolan tanzt, schaut er nicht in den Spiegel, beinahe sind seine Augen geschlossen. Er fühlt den Bewegungen nach, als erfinde er sie erst in diesem Moment. Und diese Bewegungen sind ähnlich weich wie er: fließend und fallend, die Arme, der Kopf. Immer wieder tauchen sie ab Richtung Boden, der die Schwerkraft statuiert. Die langen Haare sind dabei hoch im Kurs, wehen, wischen und verlängern die Geste. Ob sie dem Flow folgen oder ihn erst erzeugen, ist nicht ganz klar.

Konfetti auf der Trauerfeier

Schön ist, wie auf Details geachtet wird. Keegan-Dolan choreografiert eine Begeisterung in die Fingerspitzen hinein, die das Mechanische verbietet und dem Charakteristischen einer scheinbar banalen Bewegung eine andere Farbe gibt, meistens leuchtend. Die Angst vor dem Kitsch ist da, besonders bei Dvořák. Aber, so erzählt er im Gespräch nach der Probe, vielleicht ist das Problematische dabei nicht die Musik, die kitschig ist, sondern der Zynismus, der uns nicht mehr erlaubt, berührt zu werden. Für ihn ist Dvořáks Musik sowohl leicht und heiter als auch melancholisch, von einer Schwere durchzogen. Deshalb beschäftigt er sich in »Antonín« thematisch mit etwas, wovon wir oft erst allzu spät berührt werden, nämlich mit dem Tod.

»Beim Hören der Musik musste ich einfach immer wieder an ein Begräbnis denken – vielleicht auch, weil ich in der letzten Zeit einige miterlebt habe. Wir sind sehr geschickt darin, Gedanken an den Tod zu verdrängen. Unsere Gesellschaft hätte eigentlich das Potenzial, besser damit umzugehen. In Irland beispielsweise gibt es diese Sitte, bei Begräbnissen zu tanzen. Die Leute finden dadurch eine Form
des Ausdrucks, den Schock und die Trauer zu verarbeiten. Für mich war Tanz sowieso immer schon therapeutisch. Also dachte ich, warum nicht eine Beerdigung, auf der eben getanzt wird? Vielleicht wird es sogar einen Sarg geben. Blumen, Kerzen, Zigaretten und Konfetti, wer weiß.«

Keegan-Dolan hat keine Angst, über Gefühle zu sprechen, und tut dies mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Spur kalkuliert ist. Den Tod stellt er sich als einen Übergang vor – zumindest mag er die Idee, dass darin eine Art Lebendigkeit liegt. Genau diese wird dann auf der Bühne spürbar werden. »Es wird theatrale Situationen geben, aufgeladen sowohl durch Stillstand als auch durch Intensität. Die Bewegungen sind eher abstrakter Natur. Es geht schließlich weniger um Bedeutung, als um den Ausdruck eines inneren Gefühls.« Und dieses Gefühl ist im Angesicht des Todes die Affirmation des Lebendigseins. ||

JEAN UND ANTONÍN. ZWEI SINFONISCHE BALLETTE
Reithalle| Heßstraße 132 | 1., 3., 4., 6., 8., 12. April, 19.30 Uhr; 9. April, 18 Uhr
Einführungsmatinee: 19. März, 11 Uhr,
im Akademietheater am Prinzregentenplatz
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