Elsa-Sophie Jach holt Shakespeares »Romeo und Julia« in die Gegenwart.

Romeo und Julia

Liebe macht (nicht) tot

romeo und julia

Elsa-Sophie Jach holt Shakespeares »Romeo und Julia« in die Gegenwart.

Manchmal, ganz selten, passt im Theater einfach alles. Dann greifen auf beinahe magische Weise Inszenierung, Bühnenbild, Musik, Kostüme und Spiel ineinander und verbinden sich zu einem neuem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Bei Elsa-Sophie Jachs Inszenierung von William Shakespeares »Romeo und Julia« passiert genau das.

Am Anfang ist da die Bühne von Marlene Lockemann: eine beeindruckende Gerüstkonstruktion, die wie eine Trennwand auf der riesigen Drehbühne steht, zwischen den verfeindeten Clans, den Montagues und den Capulets. Später wird sie sich mal auffächern zu einer Treppenkonstruktion, sodass die Spieler*innen von beiden Seiten auf den höchsten Balkongang steigen können, sich begegnen auf dem Maskenball. Dann wieder wird sie sich schließen, sich in verschiedene Plattformen verwandeln und größtmögliche Distanz zwischen die Liebenden bringen. Ein Wunderding und ein technisches Meisterwerk, das das Ensemble einlädt zum Klettern, Springen, Tanzen. Barrikade, Balkon, Ballsaal, alles in einem.

Es ist die vielleicht bekannteste Geschichte der Welt, ein Dauerbrenner: Niemand, der diese beiden Liebenden, die versuchen, denHass ihrer Familien zu überwinden und tragisch daran scheitern, nicht kennt. Und doch lauscht man hier jedem Wort gebannt. Das Ensemble, allen voran natürlich Lea Ruckpaul als Julia und Vincent zur Linden als Romeo, überzeugt in allen Facetten, spricht die alten Texte, als wären es ihre eigenen, als wären sie just diesem Moment entsprungen. Elsa-Sophie Jach holt die Übersetzung von Thomas Brasch ganz nah heran, zoomt sich rein in diese Gefühle, die doch alle so aufbrausend und überstürzt sind. Sei es der Hass, sei es die Liebe. Wir sehen zwei, die sich mit aller Unbedarftheit ineinander verknallen, schnell und heftig und doch sehr zart. Ruckpaul und zur Linden spielen diese Liebe als hätte es etwas Vergleichbares nie gegeben. Und treffen damit den Kern des Verliebtseins: alles unvergleichlich und neu und doch immer wieder gleich.

Niels Voges holt sie mit der Livekamera ganz nah heran, ihre Gesichter und Küsse werden überlebensgroß auf eine Gazeleinwand projiziert. Wie Ertrinkende sieht man die beiden einmal von oben gefilmt aufeinander zu kriechen und einander schließlich die Hand reichen, dem Gegenüber die letzte oder einzige Rettung.

Johanna Stenzel hat quietschbunte Kostüme entworfen, die die Mode des Elisabethanischen Zeitalters gekonnt in überzeitliche Looks überführen und einen pompösen Kontrast zur geradlinigen Bühnenkonstruktion liefern. Eugen Bazijan, Jan Kiesewetter, Bettina Maier und Samuel Wootton liefern die Livemusik, die die Handlung und die Emotionen antreibt und überhöht. Max Kühn hat diesen Soundteppich komponiert, in dessen Rhythmus das Drama seinen Lauf nimmt und auch mal zum Stillstand kommt.

Überhaupt bewältigen hier alle Beteiligten vollkommen unangestrengt den Zeitsprung von Shakespeare ins Heute. Mühelos lässt Elsa-Sophie Jach sowohl den Diskurs um Shakespeares Person und die feministischen Fragen, die aus ihm erwachsen, anklingen. Pia Händler als Amme, Lisa Stiegler als Benvolio und Evelyne Gugolz als Apothekerin sind kritische Anwältinnen einer weiblichen Sicht, die im Original doch recht kurz kommt. Doch nicht nur sie stellen mit den Gedanken von Virginia Woolf die These in Frage, dass alle Texte jener Zeit von Männern geschrieben wurden: Auch die Julia, die im Original nur lieben und leiden soll, ermächtigt sich an diesem Abend selbst. Lea Ruckpauls Julia ist nicht gewillt, ihrem Romeo ins Grab zu folgen: »Noch ist nicht Zeit, dass ich für immer schlaf!« Nein, sie wird ihr eigenes Drama schreiben. Eines, in dem Liebe totmacht – oder eben nicht totmacht. ||

ROMEO UND JULIA
Residenztheater | 26. Juni, 2., 4., 7., 15., 26. Juli | 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940

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