Die 18. Ausgabe des Festivals für Neue Musik aDevantgarde widmet sich der Schönheit. Mit vielen Uraufführungen.
aDevantgarde 2025
Schönheit

Freiräume sind der Schlüssel. Dann kann Schönheit entstehen, finden Alexander Strauch …
Die Welt ist aus den Fugen. Dieser Eindruck verstärkt sich immer mehr. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Verrücktheiten aus Washington. Es herrscht weiterhin Krieg in Gaza und der Ukraine. Gleichzeitig steigen überall die Temperaturen, mit der Folge, dass, wie es vor Kurzem hieß, schon halb verdurstete Eichhörnchen von den Bäumen fallen. Und was macht das Münchner Neue-Musik-Festival aDevantgarde? Es beschäftigt sich in seiner 18. Ausgabe mit dem Thema »Schönheit«. Das klingt schon irgendwie eskapistisch. So als würden dessen Macher, sei es aus Ignoranz oder aus Müdigkeit, dem hässlichen Alltag entfliehen wollen. Aber weit gefehlt. Denn wie Alexander Strauch, einer der beiden Leiter des vom 24. Juni bis 6. Juli stattfindenden –Festivals im Zoom-Gespräch betont: »Ich finde Schönheit zurzeit absolut hochpolitisch.«
Was er damit meint? Nun: »Uns wird ja von den Rechten so ein Schönheitsbegriff entgegengesetzt«, sagt Strauch, der genauso wie sein Co-Leiter Markus Lehmann-Horn nicht nur Kurator, sondern, eine Besonderheit von aDevantgarde, auch selber Komponist ist. Und da ist Trump, der unter anderem das Kennedy-Center in Washington politisch umfunktioniert. Bei aDevantgarde soll es stattdessen darum gehen, »eine offene Schönheit« zu finden. Auch das sei in heutigen Zeiten fast schon gewagt. Insofern sei dieses Thema keinesfalls weniger politisch als vorherige wie »Grenzen« oder zuletzt »Bieder_Meier_X«, mit dem die Kuratoren und Programmmacher »auf dieses Eingesperrtsein bei Corona« reagiert hätten. Und er zitiert Dostojewski aus »Der Idiot«: »Schönheit wird die Welt retten.«
Was das Thema Schönheit jedenfalls auch ist: kompliziert. Denn was ist schön? Liegt das nicht im Auge des Betrachters oder in diesem Fall im Ohr? Ein Blick in die Philosophie oder die Geschichte der Ästhetik macht es nicht leichter. Bei Aristoteles und Kant etwa wird das Schöne vom Angenehmen unterschieden. Außerdem spricht Kant vom »interesselosen Wohlgefallen«. Die Festivalmacher selbst zitieren den Philosophen Byung-Chul Han, der da konstatiert, die Schönheit sei ein Beziehungsereignis. Andere Möglichkeit: »Die Schönheit ist ein Zögerling.« Alles klar? Was jedenfalls ein Kurzschluss und Missverständnis wäre: Es geht hier nicht nur um schöne Musik. »Auch die Technik ist für manche Leute Schönheit«, erklärt stattdessen Strauch. Außerdem gäbe es »wunderschöne Momente im Arbeiten.« Sie ist ein weiter Begriff, diese Schönheit.

… und Markus Lehmann-Horn, die Kuratoren der aDevantgarde | © Alex Weidner (oben), Astrid Ackermann
Solche Momente hatten die vom Festival beauftragten Komponisten und Komponistinnen laut Strauch nicht immer. »Also viele fanden das ganz unangenehm«, als sie sie gebeten hätten, etwas »Schönes« zu schreiben. Denn um das zu tun, müsse man sich positionieren. Und tatsächlich hätten sich manche auch dem Thema verweigert. Aber vielleicht lag es auch daran, dass man diesmal sehr streng mit den Vorgaben war, was konkrete Themen betraf. So war eine der Aufgaben etwa, ein »Geburtstagskonzert« zu schreiben. Das Ergebnis gibt es am 25. Juni im Schwere Reiter zu hören. Unter dem Titel »Freund:innen« wird dort fünf aDevantgarde-Mitgliedern zum Sechzigsten gratuliert. Bei den »Dialoghi d’Amore« am 5. Juli im Schwere Reiter wiederum treten Brigitte Helbig am Klavier und Kai Wangler am Akkordeon in einen amourösen Dialog. Zu hören ist dort unter anderem ein Stück von Nikolaus Brass, das er zur Hochzeit des Duos komponierte.
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Beim »Isarmärchen« am 6. Juli im Einstein Kultur machen sich Komponisten wie Johannes Brömmel und Katrin Klose auf den »gebrochenen Schönheitsbegriff« von Bally Prell einen Reim. Die »Schönheitskönigin von Schneizlreuth« war die vielleicht erste genderfluide Volkssängerin in München. Beim Auftritt des Münchener Kammerorchesters am 29. Juni im Schwere Reiter, sagt Strauch, »haben wir einfach an eine schöne Besetzung gedacht: Harfe und Streichorchester.« Das Münchner Ensemble der/gelbe/klang darf am 27. Juni mit einer »Carte Belle« einen Abend im Schwere Reiter gestalten. Am 4. Juli ist unter dem Titel »Beauté-Douce-Amère« dort das Quasar Saxophone Quartet aus Montreal zu Gast. Und das Auftaktkonzert »Euphonia« am 24. Juni in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ist mit der menschlichen Stimme dem schönsten aller Instrumente gewidmet. Damit ist über das Programm noch nicht alles gesagt, dessen wahre Schönheit Strauch und Lehmann-Horn selbst noch gar nicht kennen können. Denn fast alle Konzerte werden, wie immer bei aDevantgarde, Uraufführungen sein. ||
ADEVANTGARDE-FESTIVAL: SCHÖNHEIT
Schwere Reiter u.a. | Dachauer Str. 114a | 24. Juni bis 6. Juli | 20 Uhr | Tickets: Online und Abendkasse | Website
Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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