Konsolidierung! Verarmte Kommunen! Solidarisches Sparen! So schallt es mehr oder weniger hysterisch durch Gänge und Flure von Theatern und Museen, Konzerthäusern, Redaktionen und auf Podiumsdiskussionen.
Kein Geld für Kunst?
Dauernd sitzt man bei irgendwelchen Diskussionen, es geht um Ernüchterung und Verantwortung, auf den Podien hochkompetente Politiker, Künstler, Kulturschaffende auf der Suche nach Wertschätzung und Ausgewogenheit. Man will sich gegenseitig ja nur Gutes und verharrt meist im Vagen. Immer wieder geht es um den Stellenwert von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Selten fallen so klare Worte wie die von Jonas Zipf, geschäftsführender Direktor auf Kampnagel in Hamburg und versierter Kenner der Theaterlandschaft in Deutschland, der bei einer Diskussion im Rahmen des Münchner Theaterfestivals Rodeo feststellte: »Warum nur immer diese Relevanzfrage? Kunst ist ihrer Natur nach schöpferisch, erfinderisch, innovativ. Aus ihr kommen Impulse für alle Lebensbereiche, gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Warum aber stellen wir Kulturschaffenden uns dann selbst immer wieder in Frage? Wenige Berufsgruppen sonst fragen sich doch so oft, wofür sie stehen, was sie beitragen. Obwohl nichts eine Gesellschaft so voranbringt wie die Kunst! Das müssen wir herausstellen, dafür müssen wir uns nicht rechtfertigen. Es ist einfach erst mal nicht entscheidend, ob im Publikum zwei oder 500 Leute sitzen. Es muss auch nicht immer alles sofort gelingen. Kunst ist immer ein Experiment, und nur im Experiment entstehen die Dinge, die wir zum Leben und zum Überleben brauchen: visionäre Möglichkeitsräume. Das vergleichbar Wenige, was Kunst kostet, steht in keinem Verhältnis zu ihrem Wert.« Auch wenn der Profit der Kulturarbeit nicht mit monetären Maßstäben messbar ist.
Warum, um alles in der Welt, sagt also nicht endlich einmal einer oder eine auf dem Podium: Wisst ihr was, es reicht, das Gefasel vom solidarischen Sparen ist totaler Quatsch. Wir können doch nicht das wegsparen, was angeblich die Basis unserer Gesellschaft ausmacht! Leute, wenn jetzt am falschen Tortenstück gespart wird, geht der Schuss nach hinten los, denn dann sagt uns demnächst die AFD auch in München, wer hier überhaupt noch auf welcher Bühne auf und abgeht.
Weil Kunst und Kultur nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus frei sein müssen, damit sie nicht von der Politik missbraucht werden können, sind alle öffentlichen Ausgaben für Kunst und Kultur sogenannte freiwillige Leistungen (im Gegensatz zu Infrastruktur, Sozialbereich, Gesundheitswesen etc.). In Zeiten löchriger Kassen sind allerdings die freiwilligen Leistungen die ersten, die geopfert werden. Darin steckt ein fataler Widerspruch: Wenn Kunst und Kultur (und wir schließen die Bildung als Kulturträger hier der Einfachheit halber gleich mit ein) nicht nur willkommene Dekoration in üppigen Zeiten sind, sondern tatsächlich der »Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält« (viele seriöse Kulturschaffende und Kulturpolitiker reagieren inzwischen bei dieser Beschreibung sehr entnervt), wie gerade auch Nicht-Kulturpolitiker gern behaupten, macht es überhaupt keinen Sinn, hier auch nur einen Cent einzusparen. Diejenigen Bereiche einer Gesellschaft, die wertschöpfend dem Gemeinwohl dienen, Solidarität und Einfallsreichtum stiften und dem ach so beklagten Verfall der Demokratie entgegenwirken genau hier soll gespart werden? Wer von Solidarität in der Gesellschaft spricht, kann nicht ernsthaft dort sparen wollen, wo zum einen sowieso kaum etwas zu holen ist, gleichzeitig aber der größte ideelle Wert einer Gesellschaft liegt, der unwiederbringlich verloren gehen würde. Wer essen will, darf dem Gärtner nicht das Wasser abdrehen. Wenn man der Kunst das Wasser abgräbt, gräbt man der Demokratie ihre Wurzeln ab. Wie kann jemand das eine tun und das andere bejammern?
Wer langfristige Wertschöpfung haben will, muss von Kunst und Kultur nicht nur die Finger lassen, sondern in schwierigen Zeiten sogar die Etats erhöhen. Ohne auf Auslastungszahlen oder jederzeit widerlegbare Qualitätsparameter zu schielen.
Unverständliche Sturheit
Die Kunst ist der Kurzsichtigkeit ausgeliefert. Solidarität ist etwas anderes, als überall irgendetwas abzuschneiden. Es wird Zeit, dass sich die Kunst darauf besinnt, wie mächtig sie ist. Die Theater, stellvertretend für alle Kunstgewerke, schwimmen gegen den Strom und kämpfen gerade wieder einmal um ihre Existenz. Dabei gäbe es Abhilfe: Es ist unfassbar, dass seit zwei Jahren Städte wie Bamberg, Würzburg, Nürnberg, Regensburg und München gegen die Staatsregierung klagen, weil diese eine Kulturabgabe verweigert. Das Verfahren stockt, weil angeblich das Personal fehlt, das sich beim Verwaltungsgericht damit beschäftigen könnte. Dies ist eine riesige Schildbürgerei, denn Minister Blume oder gar Herr Söder selbst könnten die Kulturabgabe für jede Übernachtung vernünftigerweise auch einfach beschließen lassen, statt jahrelang einen juristischen Prozess auszusitzen. Die vorgebliche Befürchtung, der Tourismus in Bayern würde bei einer Kulturabgabe einbrechen, ist völliger Unsinn. In jeder Großstadt außerhalb Bayerns und in vielen europäischen Kulturstädten ist die Abgabe seit Jahren eine Selbstverständlichkeit und steht keinem einzigen Touristen im Weg.
Vorschlag zur Ausgewogenheit
Die Münchner Kultureinrichtungen treten die 8,6 Millionen Euro, die bis Dezember 2024 und die 16,8 Millionen, die 2025 eingespart werden sollen, gern ab, sobald die Kulturabgabe beschlossen ist und jeder, der in München übernachtet, 10 Euro pro Nacht in den Kulturtopf wirft. Bis dahin wird an der Kultur nicht herumgesägt. Wer dies durchsetzt: Die von den Künstlern und Künstlerinnen gewählten Vertreter und Vertreterinnen im Stadtrat, angeführt vom Kulturreferenten und vom Oberbürgermeister. Wenn der Freistaat sich verweigert – warum soll München das nicht allein umsetzen können? Wenn der politische Wille wirklich vorhanden ist, ließe sich das juristisch sicherlich wasserdicht konstruieren. Bei für 2024 prognostizierten 22 Millionen Übernachtungen allein in München ginge es um gigantische 220 Millionen Euro. Genug für alle, möchte man meinen. Und keine Angst vor der Verteilungsdiskussion! Die Kunstszene würde sich an einen Tisch setzen und solidarisch entscheiden, wer wieviel vom Kuchen kriegt. Lachen Sie jetzt nicht! Sowas ist möglich, weil es denkbar ist. Das ist das Wesen der Kunst. Nicht der Kleingeistigkeit. ||
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