Nora Schlocker zeigt in Schillers »Maria Stuart« die Königinnen als Gefangene der Politik
Maria Stuart
Zwillinge in Zwängen
Wie Zwillinge schreiten sie Rücken an Rücken die lange Schräge herunter. Fast identisch gekleidet, der gleiche kurze Haarschnitt über weiß gepuderten Gesichtern. Doch Elisabeth Tudor und Maria Stuart sind Konkurrentinnen um den Thron von England. Regisseurin Nora Schlocker wollte sie als Spiegelbilder zeigen, beide gefangen in den politischen und religiösen Positionen des 16. Jahrhunderts. Deshalb haben Pia Händler und Lisa Stiegler jeweils beide Rollen geprobt. Der Zufall bestimmt die Rolle, so das Konzept. Bei der Premiere entschied ein Zuruf für Pia Händler als Elisabeth. Für die erkrankte Nora Schlocker führte Alexander Eisenach die Proben zu Ende.
Friedrich Schiller konzentrierte sein 1801 uraufgeführtes Drama »Maria Stuart« auf die letzten Tage vor ihrem Tod, für die poetische Wahrheit nahm er sich Freiheiten von der Historie. Der Konflikt: Elisabeth gilt den Katholiken als unrechtmäßige Königin, weil unehelich. Der Papst hat die Ehe Heinrichs VIII. mit ihrer Mutter Anne Boleyn nie anerkannt, was zur Religionsspaltung in England führte. Maria Stuart, Königin von Schottland, hat als Tudor-Nachfahrin legitime Ansprüche auf den englischen Thron. Nach einer Revolte der Schotten sucht sie Asyl in England und wird von Elisabeth inhaftiert. 19 Jahre lang bis zu ihrer Hinrichtung 1587. Elisabeths Protestanten und Marias Katholiken kämpfen um Thron und Religionsmacht.
Nora Schlocker entwirft eine Welt der Kunstfiguren, alles ist hier artifiziell. Gespreizte Bewegungen, höfische Verrenkungen, einmal führen zwei Staatsräte Elisabeth wie eine Marionette. Die Königinnen gleichen sich aufs Haar, nur die Kostümfarben unterscheiden sie. Die Männer sind austauschbar in ihren kurzen Pluderhosen und hasenohrigen Perücken, kaum unterscheidet man den Scharfmacher Burleigh (Florian Jahr) vom Friedensstifter Talbot (Oliver Stokowski). Der Opportunist Leicester (Moritz Treuenfels) dient sich beiden Damen zur Ehe an, der rechtstreue Wächter Paulet (Thomas Reisinger) verweigert den Auftragsmord, mit dem sich Elisabeth vor dem Hinrichtungsbefehl drücken will. Sein Neffe Mortimer (Vincent zur Linden) lässt sich zum Schein darauf ein, weil er Maria befreien will.
Die riesige schmale Schräge auf der Drehbühne von Irina Schicketanz schafft imposante Bilder, ein Spiegel oben ergänzt den Blick auf entferntere Figuren. Zwei Mal senken sich Zerrspiegel, als Gefängnis und als Bild der Verwirrung. In der (erfundenen) Begegnung der Königinnen können Pia Händlers Elisabeth und Lisa Stieglers Maria endlich Emotion zeigen: Auf dem Höhepunkt tauschen sie ihre Halskrausen und Rollen, die Szene wiederholt sich. Doch schnell schlüpfen sie in die alte Zuordnung zurück, da bleibt kein Erkenntniswert. Nur, dass jede an Stelle der anderen genauso handeln würde. Aber die Austauschbarkeit der Funktionen ist ja ohnehin Thema.
Schlocker unterschlägt eine (historisch verbürgte) Volte Schillers. Königsmord ist ein Sakrileg, ein gesalbter Herrscher – das ist Maria ja – ist sankrosankt. Elisabeth zögert deshalb, delegiert den Vollzug des Urteils mit unklaren Worten an ihren Sekretär. Diese Feigheit vor der Feindin spart Schlocker aus, hier gibt Elisabeth dem Verräter Leicester den klaren Auftrag. Eindrucksvoll rollt der Körper der toten Maria über die Schräge. Aber alle Figuren bleiben einem dank ihrer Künstlichkeit sehr fremd, nichts berührt wirklich. ||
MARIA STUART
Residenztheater | 21., 29. Okt., 7., 16. Nov. | 19.30 Uhr | 10. Nov. | 18.30 Uhr | Tickets: 089 21851940
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