Mit zwei reifen Kunstpionierinnen bringt Haus-der-Kunst-Chef Andrea Lissoni Leichtigkeitin den NS-Bau am Englischen Garten. Die 80-jährige Rebecca Horn und die 84-jährige Liliane Lijn sind die Bühnenstars dieser unerwartet bewegten Kunst.
Rebecca Horn / Lilian Lijn
Das Haus bebt
»Eine Art Cyberpunk und Grenzgängerin« nennt Andrea Lissoni die eine, eine genresprengende Pionierin die andere: Die Deutsche Rebecca Horn und die US-Amerikanerin Liliane Lijn rocken jeweils in großen Einzelshows das Haus der Kunst, der wuchtige Bau aus der NS-Zeit wird dabei zur Bühne für ihre unerwartete, bewegte Kunst. Horn mit poetischer Leichtigkeit und dem Horror der Maschinen. Lijn mit Spiritualität und elektrisch angetriebenen Gedichtmotoren.
Dass der künstlerische Direktor die beiden reifen Künstlerinnen – Horn ist gerade 80 Jahre alt geworden, Lijn wird im Dezember 85 – jeweils nicht in dokumentarischen Retrospektiven ehrt, sondern ihr Werk in überraschenden, lebendigen Choreografien inszenieren ließ, ist den mutigen Kuratorinnen zu verdanken: Jana Baumann folgte den Worten Rebecca Horns »ich bin vor allem Choreografin« und inszenierte zusammen mit Radia Soukni die bühnenreife Show eines funkelndes Lebenswerks, in das vielfältige Referenzen aus Literatur, Kunst- und Filmgeschichte eingewoben sind. Emma Enderby und Teresa Retzer zeigen die elektrisch betriebene Kunst von Liliane Lijn aus feministischer Perspektive – ohne Zeigefinger.
Das Highlight der Ausstellung von Rebecca Horn flimmert im Hauptraum an der Wand – in Kinoleinwandgröße projiziert sieht man Horns frühe Performances aus den 1970er-Jahren. Die historischen 16-mm-Filme wurden dafür eigens neu digitalisiert. Man hört den jungen Schauspieler Otto Sander, sieht den Künstler Sigmar Polke und das Fotomodell Veruschka von Lehndorff in Verrenkungen agieren. Auch die Künstlerin selbst tritt auf, etwa hinter ihrer »Bleistiftmaske« von 1972 und mit »Handschuhfingern« aus demselben Jahr. Auch ihr erster längerer Film »Der Eintänzer« von 1978 über ein surreales Apartment und eine Balletttänzerin in New York ist zu sehen.
Rund um die Filme sind Horns Zeichnungen und Skulpturen arrangiert. Die frühen Blätter aus den 1960er Jahren, die mechanischen Skulpturen der 1980er und die großen Installationen mit den Soundeffekten, die die Künstlerin seit den 1990ern erfand. Tote Schmetterlinge beginnen da, mit den Flügeln zu schlagen, Nashornspitzen küssen sich, Schuhe tanzen und Messerspitzen vereinen sich zum Liebesspiel.
Horn vermischt Grenzen von Natur und Kultur, von Menschlichem und Nichtmenschlichem, transformiert Geschlechter, vereint Tier- und Menschenkörper. Überall zuckt, flirrt und kracht es. Im »Concert for Anarchy«, einem an der Decke hängenden Klavier, stürzen die Tasten aus heiterem Himmel herab. In ihrer Installation »Inferno« (1993), die aus neun über- und ineinander gestapelten Metallbetten aus einer psychiatrischen Klinik besteht, zucken elektrische Leuchtröhren. Und im luftigen »Turm der Namenlosen« (1994) geben mechanische Geigen zwischen verkeilten Holzleitern schräge Töne von sich. Die Installation war einmal ein Denkmal für die Geflüchteten aus dem Balkankrieg in Wien, jetzt erinnert das quälende Konzert an all die Migranten der aktuellen Kriege und Katastrophen.
Natürlich fehlen Horns bahnbrechende Werke nicht: ihre »Pfauenmaschine«, die sie 1982 auf der 7. Documenta installierte, ein monumentales, sich langsam spreizendes Rad aus langen Metallkeilen. Die »Malmaschine. Arie in Schwarz« (1991), aus der Tinte an die Wand spritzt, und die zuckende Quecksilberschlange im »Hydra Piano« (1995). Und auch eine der neueren »Hauchkörper«-Skulpturen, deren drei Meter lange Messingstäbe sich wie Schilf in meditativer Langsamkeit wiegen. 2017 entwarf die Künstlerin dieses bewegte Feld, nachdem sie sich von ihrem 2015 erlittenen Schlaganfall langsam wieder ins Leben zurückgekämpft hatte. In der Öffentlichkeit tritt Rebecca Horn seitdem nicht mehr auf. Große Gesten überlässt Horn ihren Maschinen, die poetischen leisen Töne zaubert sie auf zart gekritzelte und getünchte Zeichnungen, ihre Botschaften schreibt sie in Gedichten auf. Im Audioguide sind Rebecca Horns surrealistische Texte zu hören.
Wie Sprache zum Bild wird, zeigt auch Liliane Lijn. In ihren »Gedichtmaschinen« aus den 1960er Jahren lässt sie Wörter über eine sich drehende Rolle vor dem Auge der Betrachter rotieren. Mal huschen die Buchstaben »Body«vorbei, mal »Minute« oder »Government« Dabei geht es nicht darum, den Sinn zu erfassen, sondern Sprache zu sehen und zu spüren. Die 84-jährige US-Amerikanerin gehört in New York längst zu den herausragenden Protagonistinnen zeitgenössischer Kunst, hierzulande ist sie eine Entdeckung. Lijn, die aus einer jüdischen Familie stammt und deren Eltern vor den Nazis in die USA flohen, war in den 1960er und 1970er Jahren eine der ersten Frauen, die mit Elektromotoren arbeitete. Bevor sie sich 1966 in London niederließ, lebte sie in Paris und Athen, wo sie zu einer Gruppe von Künstlern und befreundeten Dichtern gehörte, die die Bewegung der kinetischen Kunst definierten, eine Bewegung, die mit Raumfahrttechnoogie und kosmischer Spiritualität verbunden war. Lijn erforschte elektronische Wellen undKräfte, entschlüsselte surrealistische Poesie und studierte nebenbei Archäologie.
Bewegung ist eines der Grundelemente ihres Werks. Weibliche Energie, Licht, Sound, Sprache und auch Feminismus. Ihre ersten bewegten Skulpturen nannte sie »Female Figures«. In den 1980er Jahren verwandelten sie diese in »Women of War«. Sie waren 1986 auch auf der Biennale in Venedig zu sehen. Eine der Riesenfrauen aus aufrecht stehenden Stahlplatten ragt in München drei Meter hoch in den Raum, das Gesicht ist hinter einem Helm aus rot-schwarzen Eisenringen versteckt. In der Ausstellung öffnet sich plötzlich ihr Oberkörper, Arme breiten sich aus und strecken sich wie Flügel. Ihr leuchtendes Gelb besteht aus banalen Kunststoffborsten.
Von Showeffekten versteht die wissenschaftsaffine Künstlerin etwas: Aus der Figur steigt Rauch auf und ein roter Laserstrahl durchkreuzt die Luft. Für Lijn selbst ist alles Energie. »Meine Arbeit ist eine Übung darin, die Welt zu sehen«, sagt sie. »Ich möchte, dass es atmet. Ich möchte, dass ihre Oberfläche wie eine Haut ist, durchscheinend, porös, die die feine feuchteWärme des Lebendigen ausstrahlt.« Mit Liliane Lijn und Rebecca Horn zeigt das Haus der Kunst nach Joan Jonas und Meredith Monk einmal mehr zwei grandiose Künstlerinnen, die sich nicht um Genregrenzen scheren und ihrer Zeit weit voraus waren. ||
REBECCA HORN
bis 13. Oktober | Der Katalog erscheint im Juli | Community Workshop mit moving spaces: 22. 8., 26. 9., 24. 10. Symposium am 12.10.
LILIANE LIJN »ARISE ALIVE«
bis 22. September | Haus der Kunst | Prinzregentenstr. 1 | Mo–So 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr. Weitere Führungen und Veranstaltungen
Zu Ehren der kürzlich verstorbenen Rebecca Horn zeigt das Filmmuseum München am 24.9. (18.30 Uhr) ihren Film »Buster’s Bedroom« (1981) mit anschließender Diskussion.
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