Zeitgenössisches Ballett vom Feinsten gibt es wieder beim Festival DanceFirst zu entdecken.
DanceFirst 2024
Lebensfragen und Liebesbotschaften
Waren Sie schon einmal in Fürstenfeldbruck, also in der Kreisstadt des gleichnamigen bayerischen Landkreises? Wenn nicht, gäbe es in Kürze einen guten Anlass für einen Besuch, nicht nur für Bewunderer des historischen Stadtkerns. Denn vom 4. Juni bis 16. Juli ist im Veranstaltungsforum Fürstenfeld auf dem Gelände des ehemaligen Zisterzienserklosters wieder das schon legendäre Festival DanceFirst zu erleben. Auch heuer hat der Theaterverein Fürstenfeldbruck eine ganze Latte von Produktionen berühmter Choreograf:innen eingeladen.
Den Auftakt macht am 4. Juni Maguy Marin, Ikone der in den 1980er Jahren aufblühenden »Nouvelle Danse Francaise«. Ihre Compagnie tanzt das frühe, von Samuel Becketts »Warten auf Godot« inspirierte Erfolgsstück »May B« von 1981. Dieser Marin-Klassiker sei »eine mal humorvolle, mal berührende Reise der Figuren zu einem Warten auf Liebe und Glück«, so knapp zusammenfassend Heiner Brummel. Er hat dieses biennale Tanzfestival 2016 gegründet, ist bis heute dessen Leiter wie auch des bereits 2009/2010 gestarteten Theaterprogramms. Brummel kommt ursprünglich vom Schauspiel, war im Theater Pumpenhaus in Münster als Schauspieler, Theaterpädagoge und Regisseur aktiv und hat Projekte mit Jugendlichen geleitet. »Aber der Tanz, diese sinnliche Körpersprache, hat mich schon immer fasziniert«, sagt er. Und kann durchaus stolz auf das Besucherinteresse verweisen: »Zuletzt lag die Auslastung bei 85 Prozent. Zusammen mit dem Begleitprogramm, also Workshops, tanzpädgogischen Projekten und Outdoor Events, hatten wir 2022 nahezu 4000 Besucher.«
Der Dreiteiler, den die spanische Compagnie IT Dansa am 9. Juni präsentiert, zeigt den weltumspannenden Charakter von Tanz. Der international renommierte Brite Akram Khan mit bangladeschischen Wurzeln hat sein 2002 kreiertes »Kaas« (»wenn nur« auf Hindi) 2014 neu aufgelegt. Hier wird man erleben, wie indischer und zeitgenössischer Tanz sich sozusagen umarmen. Eine Kritik von 2016 in der Londoner »Times« schwärmt »von einem verblüffenden Werk, das den Zuschauer mitnimmt auf eine Reise vom Echo aus den Tiefen des Universums bis hinein in das glutrote Zentrum des Erdballs«. Von Ohad Naharin, seit 1990 Leiter der weltweit gefeierten israelischen Batsheva Dance Company, ist dann »Minus 16« zu sehen. Versprochen ist Tanz »zu temperamentvoller israelischer Volksmusik, fetzigen Showtanz-Rhythmen und elegischen klassischen Klängen«. Typisch für Naharin – immer auf der Suche nach neuen Bewegungsformen –, dass er genau diese von seinem Ensemble über Improvisation finden lässt. Instinktiv und individuell schöpferisch zu arbeiten, darauf kommt es Naharin an. Das dritte von IT Dansa mitgebrachte Stück hat der freischaffende Spanier Gustavo Ramírez Sansano »Lo que no se ve« betitelt, übersetzt »Das, was man nicht sieht«. Und da hier Paare tanzen, geht es wohl um »das, was man fühlt« – um die Liebe natürlich. Ramíres Sansano hat unter anderen für die Alvin Ailey Dance Company choreografiert, für das Nederlands Dans Theater und das Ballet British Columbia. Hierorts ist er noch zu entdecken.
»Liebesbotschaften« übermittelt am 25. Juni das Bayerische Junior Ballett München: vielversprechende Akademieabsolventen zwischen 17 und 21, die jeweils zwei Jahre die Gelegenheit haben, ihre ersten Berufserfahrungen im Rahmen dieses von Ivan Liška geleiteten Ensembles zu sammeln. Ihr Programm bei DanceFirst ist kompakt: John Neumeiers technisch-tänzerisch hochanspruchsvolle »Bach-Suite 3« von 1981, dazu Eric Gauthiers Mussorgski-Choreografie »Nacht auf dem kahlen Berge« (gerade uraufgeführt in der Frühlingsmatinee der Heinz-BoslStiftung im Münchner Nationaltheater). Nach diesen beiden neoklassischen Stücken präsentieren die technisch topfitten Junioren mit großer Ausstrahlung Jirí Kyliáns Tanzversion zu Gustav Mahlers »Lieder eines fahrenden Gesellen« von 1982 und Marco Goeckes »All Long Dem Day« (zu Nina Simones Blues-Song »Sinnerman«) von 2015.
Mit Spannung erwartet wird Bryan Arias’ »Odyssey« am 10. Juli, eine Choreografie, die am 4. Mai in Saarbrücken Uraufführung hat. Wichtige Inspirationsquellen waren ihm Homers Epos und Stanley Kubricks visionärer Film »2001. Odyssee im Weltraum«. Klaus Kieser, Dramaturg und stellvertretender Direktor des Saarländischen Staatsballetts, gibt uns diese Information: »Choreografisch gestaltet Bryan Arias eine menschliche Odyssee durch die unendlichen Weiten von Raum und Zeit und lädt den Zuschauer ein, über die Mysterien des Daseins und die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachzudenken.« Bryan Arias tanzte im Nederlands Dans Theater und in Crystal Pites Kompanie Kidd Pivot in Vancouver. Als Choreograf hat er bereits eine internationale Karriere vorzuweisen. Also hohe Erwartungen bei dieser im Juli ja noch taufrischen Kreation. Es gibt auch eine Tradition lokaler Tanzschulen: Am 7. Juli zeigen die Brucker Tanzgruppen unter dem Titel »Made in FFB« ihre besten Stücke.
Fulminanter Abschluss des Festivals dann am 16. Juli mit »Tansparada« des Kroatischen Nationalballetts Rijeka. »Vier Stücke offenbaren die große künstlerische Vielfalt und das hervorragende tänzerische Können dieser Compagnie«, sagt Heiner Brummel mit Nachdruck. Der Abend bringt Masa Kolars »Frühlingsopfer«, Mauro Bigonzettis »Rossini Cards«, Marco Goeckes von Strawinsky inspirierten »Feuervogel« sowie Nadev Zelners »Medium rare«. Es wird, in Form und Inhalt, garantiert vielfältig. ||
DANCEFIRST
Veranstaltungsforum Fürstenfeld | Fürstenfeld 12, 82256 Fürstenfeldbruck | 4., 9., 25. Juni, 7., 10., 16. Juli | Info sowie Tickets
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