Die inspirierende Ausstellung »Verbotene Bücher« – noch bis 4. Februar im Literaturhaus.

Verbotene Bücher

Bücher und Macht

verbotene bücher

An Demokratie und Freiheit muss immer gearbeitet werden – daran lässt die Ausstellung keinen Zweifel | © Amelie Josephine Kahl (3)

Den Causway Bay Bookstore in Hongkong gibt es nicht mehr. 2015 verschwanden auf mysteriöse Weise fünf Mitarbeiter*innen dieser Buchhandlung, die sich auf kritische Literatur spezialisiert hatte. Darunter Bücher, die auf dem chinesischen Festland nicht im Handel waren. Die Buchhändler*innen tauchten wieder auf, sprachen aber nie über die Zeit ihres Verschwindens. Obwohl die Vermutung nahe liegt, dass sie in China inhaftiert waren, eröffnete einer von ihnen, Lam Wing-kee, 2020 einen neuen Buchladen in Taipeh und kämpft so auf seine Weise weiter für eine offenere Gesellschaft.

Sollte irgendwer gedacht haben, Buchverbote und Zensur seien längst überwundene Instrumente politischer Machtausübung, belehren ihn Beispiele wie dieses eines Schlechteren. Solange es autokratische Herrscher und totalitäre Systeme gibt, wird es auch Bücherverbote geben. Information zu unterdrücken und zu lenken, bedeutet schließlich, Macht auszuüben und Verhältnisse zu festigen. Tanja Graf und Anna Seethaler haben nun für das Literaturhaus eine Ausstellung kuratiert, die Vergangenes und Gegenwärtiges inspirierend miteinander verbindet. »Verbotene Bücher« belässt es nicht bei den vielfältigen Unterdrückungsversuchen, sondern zeigt, dass der Widerstand gegen die Überwachung so alt ist wie diese selbst: kein Verbot ohne Protest, keine Zensur ohne den Versuch, diese zu umgehen. Demokratie und Freiheit sind immer Baustellen, an denen weitergearbeitet werden muss. Dass die Exponate sich in einem Parcours aus Baugerüsten finden, ist daher nur logisch.

verbotene bücher

Gleich am Anfang führt ein historischer Exkurs zu Protestbewegungen aus vier Jahrhunderten, beginnend mit einem gefakten Bücherkatalog aus dem 17. Jahrhundert, der nur Bücher auflistete, die es gar nicht gab. Er sollte die Zensoren beschäftigen, ablenken und auf falsche Fährten führen. Über ein Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert, mit dem Versklavte sich im Geheimen selbst das Lesen und Schreiben beibrachten, geht es zu Büchern aus der DDR, die im Selbstverlag erschienen, weil sie offiziell nicht erlaubt waren. So vervielfältigte beispielsweise die Familie von Reiner Kunze dessen Prosasammlung »Die wunderbaren Jahre« Ende der 1970er Jahre, indem sie sie per Hand abschrieben. 2013 entwickelte der koreanische Grafikdesigner Sang Mun die Schriftart ZXX, die von Suchmaschinen nicht gelesen werden konnte. Hier – wie an anderen Stellen der Ausstellung – kann man selbst aktiv werden und Texte in der digitalen Geheimschrift verfassen.

Nach einem kurzen Blick in die Geschichte der Zensur konzentriert sich die Ausstellung auf die globale Gegenwart, in der erschreckend viele Bücher verboten sind. Drei Hauptursachen für Zensur stellen Tanja Graf und Anna Seethaler vor: Religion, Politik und Moral. In jedem Bereich wird ein Buch genauer betrachtet, die Umstände seines Verbots beleuchtet. Auch die Autor*innen kommen hier zu Wort. Da ist Maka Kobabes Comic »Gender Queer« vertreten, das aus moralischen Gründen in amerikanischen Schulbibliotheken verboten wurde, oder der chinesische Autor Liao Yiwu, dessen Dokumentarroman über die Anfänge der Coronapandemie – »Wuhan« – nur in Deutschland erscheinen durfte. Im Bereich Religion findet sich einer der aufsehenerregendsten Fälle der letzten Zeit, Salman Rushdies »Die satanischen Verse«. Für dieses Buch wurde 1989 in Deutschland eigens der »Artikel 19 Verlag« gegründet, dessen Name sich auf den Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Meinungsfreiheit bezieht. Dieser Verlag diente nach dem Mordaufruf Ayatollah Khomeinis gegen den Autor dem Schutz der an der Veröffentlichung des Buchs Beteiligten. Mindestens zwei Dutzend Verlage haben sich dafür anonym zusammengetan. Am Ende blickt die Ausstellung auf die aktuelle Situation in Deutschland, wo momentan (von verfassungswidrigen Schriften abgesehen) tatsächlich nur ein einziges Buch verboten ist, und das weder aus politischen noch aus moralischen oder religiösen Gründen. Die Vermarktung von Maxim Billers Roman »Esra« wurde 2003 vielmehr verboten, weil er die Persönlichkeitsrechte von Billers Ex-Freundin und deren Mutter verletzte, wie drei Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht bestätigten.

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Mit vielen Seitenblicken und Perspektivwechseln erlaubt die Ausstellung einen umfassenden Einblick in ein vielschichtiges und geschichtsreiches Thema, das keineswegs an Brisanz verloren hat. Neuestes Kapitel: die umfangreichen Debatten um den schwierigen Begriff der Cancel Culture und die Frage, ob Kinderbücher wie Mark Twains »Huckleberry Finn« oder Astrid Lindgrens »Pippi Langstrumpf« im 21. Jahrhundert tragbar sind. Ob sie umgeschrieben oder tatsächlich verboten werden sollten. Beim Literaturfest entbrannte im Rahmen eines Symposiums zum Thema Kanon in den Münchner Kammerspielen im November eine heftige Diskussion darüber, ob ein Roman wie Wolfgang Koeppens »Tauben im Gras«, in dem rassistische Stereotype an der Tagesordnung sind und unzählige Male das N-Wort fällt, wirklich als Pflichtlektüre an Gymnasien in Baden-Württemberg geeignet ist. Am Ende dieses Ausstellungsbesuchs bleiben zwei Gedanken: Nicht nur das Kritische, das allzu oft verboten wird, ist ein Problem. Hie und da ist es auch das Unkritische, das nicht hinterfragt wird. ||

VERBOTENE BÜCHER
Literaturhaus | Salvatorplatz 1 | bis 4. Feb. | Mo bis So | 11–18 Uhr | Eintritt: 8 Euro / 6 Euro, montags für Schüler*innen und Student*innen 3 Euro

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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