Sängerin, Komponistin, Performance-Star: Multitalent Meredith Monk wird im Haus der Kunst geehrt

Meredith Monk im Haus der Kunst

Unerhört

meredith monk

Es gibt viel zu entdecken. Meredith Monk zeigt der Avantgarde seit Jahrzehnten, wohin man sich gestalterisch bewegen kann | © Christine Alicino

Was für eine Stimme. Sie gurrt, grunzt, gluckst, zwitschert, keucht und knurrt. Über drei Oktaven springt dabei ihr Organ. Ihre Hände folgen tänzerisch den Tönen, die aus ihrem zarten Körper mit überwältigender Kraft in den Raum dringen. Man ist irritiert und fasziniert zugleich und weiß sofort: So etwas Unerhörtes hat man noch nie zuvor erlebt. Wer Meredith Monk einmal live gehört und gesehen hat, vergisst sie nicht so leicht. Ihre Klangkunst sprengt fast jeden musikalischen Rahmen. Sie trillert, lacht, schreit oder jodelt, und verwebt alles zu einem Gesamtkunstwerk. Dabei versteht man so gut wie keinen Text, sondern nur Silben, ihre Sprache ist die Stimme selbst. Sie versuche, »Laute zu kreieren, die diese Welt reflektieren«, beschrieb die New Yorker Künstlerin einmal selbst ihren Gesang. Einen Kritiker erinnerte ihre Vokalakrobatik an »eine Kreuzung aus einem Vogelschwarm und einer Versammlung islamischer Muezzine«.

Noch immer beherrscht die 80-Jährige das hohe C, noch immer entlockt sie ihrer Kehle Tonsaltos mit unglaublicher Leichtigkeit. Kein Wunder, dass die Pionierin der vokalen Performancekunst auch als globale Künstlerin gefeiert wird. Björk und Barack Obama sind längst Fans. Der Künstler Bruce Nauman nannte sie eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen. Die Musiker Brian Eno und David Byrne würdigten sie. Letzterer verewigte ihre Musik in dem Film »True Stories«. Daneben wirkte Monk an Filmsoundtracks zu »The Big Lebowski« von den Coen Brothers und Jean-Luc Godards »Nouvelle Vague« mit. Die Retrospektive im Haus der Kunst zeigt ihre Arbeit nun erstmals in Europa mit neu inszenierten und multimedialen Werken, hinzu kommen immersive Environments, die die Künstlerin »Schreine« nennt und in die man eintaucht wie in einen musikalisch unterlegten Film. Neben ihren Musik- und Bühnenkompositionen hat Monk in den vergangenen 20 Jahren immer wieder an solchen Audio- und Videoinstallationen gearbeitet. Anhand von originalen Objekten aus Monks Stücken, Zeichnungen und Partituren lässt sie ihre Karriere Revue passieren, von den Anfängen 1966 in der von Frauen bestimmten Performanceszene in Downtown New York bis zu ihrem Stück »On Behalf of Nature« von 2016, in dem sie sich für Ökologie stark macht.

Meredith Monk sprengte mit ihrem Ensemble früh Grenzen. Sie war ihrer Zeit oft weit voraus. Musik, Theater, Tanz, Video und Installation verband sie nahtlos über Disziplinen hinweg und hat mit ihrem Stil nachfolgende Generationen beeinflusst, nicht nur in der neuen Musik, sondern auch in Theater, Tanz und Kunst. In ihren Werken ging es ihr immer wieder um die Geschichte der Menschheit. In ihrer Oper »Quarry« von 1976 arbeitete sie den Zweiten Weltkrieg und den Faschismus auf, ihr gefeiertes Album »Dolmen Music« von 1981 komponierte sie nach einem Besuch der prähistorischen Hünengräber in der Bretagne zu einem spirituellen Meisterwerk. Ihre Science-Fiction-Oper »The Games«, die sie 1983 zusammen mit dem Librettisten Ping Chong erschuf, handelt von Überlebenden eines nuklearen Holocausts und der globalen Erwärmung, die im Weltraum Zuflucht finden. In einem Ritual geben dort die Älteren die Kultur der Erde an die Jungen weiter. Kollaboration und Kollektive, Genderfluidität und Naturschutz – das alles machte sie zum Thema, lange bevor es zum guten Ton gehörte. Noch immer erscheinen ihre Arbeiten wegweisend und zeitlos. Sie stand mit Schnurrbart und Rock auf der Bühne, sie verband in ihren Kompositionen westliche und östliche Musiktraditionen und verpasste den Sängern ihrer »Atlas«-Oper 1991 auf der Bühne Jogginghosen.

Die gebürtige New Yorkerin kommt aus einer sehr musikalischen Familie: Ihre Mutter sang Pop und Jazz. Ihr Großvater war Opernsänger, die Großmutter Konzertpianistin, ihr Urgroßvater Kantor an einer Synagoge in Moskau. Es war nicht ganz einfach für die junge Musikerin, ihren eigenen Weg zu finden. Meredith Monk bekam sehr früh gleichzeitig Klavierunterricht und Stunden in Eurythmie. Die spirituelle Tanzkunst klingt bis heute in den Werken der bekennenden Buddhistin durch. Auf dem College schrieb sie sich daher zunächst für Gesang und Tanz ein. Sie spielte Gitarre und sang Folksongs, merkte aber schnell, dass sie lieber ihre eigene Musik als fremde Songs interpretieren wollte. Nach Abschluss des Studiums 1964 ging sie nach New York, wo sie Fluxus-Künstlerinnen wie Alison Knowles und Charlotte Moorman traf. Ihren Durchbruch feiert sie 1966 mit »16 Millimeter Earrings«, einem Stück für Stimme, Gitarre, Tonband und Video, bei dem sie aus Wilhelm Reichs Studie über den Orgasmus zitierte und dabei Aufnahmen von Stimmen, Gesängen und Geräuschen laufen ließ. In Robert Withers gleichnamigem Film von 1979 sieht man sie dabei in surrealistischen Kostümen und Einstellungen. Vor allem aber hört man Meredith Monks Stimme. In der Ausstellung erklingt sogar unveröffentlichte Musik von ihr: Geburtstagslieder, die sie für ihre Nichte und ihren Neffen schrieb, sowie Probeaufnahmen für ein Duett mit Bobby McFerrin, die nie als Album herauskamen. ||

MEREDITH MONK. CALLING.
Haus der Kunst | Nordgalerie | Prinzregentenstr. 1 | 10. Nov 2023 bis 3. März 2024 | Mo bis So 10–20 Uhr, Di geschlossen, Do 10–22 Uhr | Tickets: 089 21127113

In der neuen Ausgabe finden Sie ein weiteren Artikel über Meredith Monk von Eva-Elisabeth Fischer. Hier geht es zum Kiosk.

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