Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums demonstriert in der Ausstellung »Wahnsinn – Illegale Autorennen« Aspekte des Temporauschs.

Wahnsinn – Illegale Autorennen

Freie Fahrt für freie Bürger?

autorennen

Der Jeep von Michael Warshitsky, der am 1. Februar 2016 als Opfer eines illegalen Autorennens in Berlin starb | © Deutsches Museum, Foto: Reinhard Krause

Die Entscheidung war die einzig logische: 2017 wurde zum ersten Mal in der deutschen Rechtsprechung ein Raser wegen Mordes zu lebenslanger Haft, der zweite wegen versuchten Mordes verurteilt. Bei einem illegalen Rennen mit Tempo 160 auf dem Berliner Kurfürstendamm starb Michael Warshitsky, der den beiden Rasern versehentlich in den Weg gekommen war. Sein Jeep, in dem er damals starb, ist das zentrale Objekt der neuen Sonderausstellung, mit der das Verkehrszentrum des Deutschen Museums erstaunlich offensiv kritisch mit den Wundern der Technik umgeht. »Wahnsinn – Illegale Autorennen« sollte Pflichtprogramm für alle sein, die auch nur ein einziges Mal eine Geldstrafe wegen überhöhter Geschwindigkeit bezahlen mussten. (Zum Verkehrszentrum kommt man zudem einfacher als in die Unfallklinik in Murnau, die allerdings keine Führungen anbietet, obwohl auch dies sinnvoll wäre.)

Neben Objekten, leicht verständlichen, informativen Schautafeln und Filmen ist das originale Unfallwrack aus Berlin das schockierende Zentrum der Ausstellung. Dass hier ohne jegliche Zurückhaltung auf Drastik gesetzt wird, mag manchem makaber vorkommen, ist aber vollkommen richtig: Man sieht den erschlafften Airbag und Einkaufstüten, die Michael Warshitsky dabeihatte. Die Motorhaube fehlt und gibt den Blick frei auf das desolate technische Innenleben des Wagens.

Die irre Lust an illegalen Autorennen befindet sich auf einem erschreckenden Höchststand: 2022 hat die Polizei 605 illegale Rennen auf Bayerns Straßen erfasst. Vier Menschen kamen dabei ums Leben, 128 wurden verletzt. Auch in München wurde 2021 erstmals ein Raser wegen Mordes verurteilt, der Ende 2019 einen 14-Jährigen totgefahren hatte. Die Gründe für den Temporausch, der durchaus vergleichbar mit dem Alkohol- oder Drogenrausch ist, nimmt die Ausstellung in den Blick. »Nervenkitzel und Geschwindigkeit gelten noch immer als cool. In unserer Gesellschaft werden seit Anbeginn des Automobilzeitalters Geschwindigkeitsrekorde und Wettkampf verherrlicht, oft verbunden mit antiquierten Männlichkeitsidealen«, sagt Bettina Gundler, Leiterin des Verkehrszentrums.

Muskelbepackte Männer, die in ihren Boliden von leicht bekleideten Frauen angehimmelt werden, sich auf Autos räkelnde Pin-ups – diese Bilder sind so antiquiert wie aktuell, in einschlägigen Publikationen und Kalendern ebenso wie in Musikvideos. Fehlendes Risikobewusstsein und Selbstüberschätzung treffen fatal auf immer mehr PS. Viel zu leistungsfähige Automobile sind für Fahrer mit viel zu wenig Erfahrung viel zu leicht zugänglich. Um den Temporausch zu stoppen, gibt es vielerlei Ansätze: schärfere Gesetze, strengere Strafverfolgung, verbesserte Verkehrserziehung, bis hin zur automatischen Geschwindigkeitsbeschränkung im Fahrzeug. Aber auch hier stellt sich eine entscheidende Frage, zu deren Klärung weder die Politik noch die Autoindustrie effektiv beitragen: Beschneiden diese Regelungen und technischen Restriktionen die mobile Freiheit? Ist eine entschleunigte Fahrkultur überhaupt möglich? ||

WAHNSINN – ILLEGALE AUTORENNEN
Verkehrszentrum des Deutschen Museums
Theresienhöhe, Halle III | bis 20. Mai 2024
täglich 9–17 Uhr | Am 24. September stellt die Münchner Polizei von 11 bis 16 Uhr einen Fahrsimulator im Verkehrszentrum auf, in dem man sein Reaktionsvermögen in kritischen Verkehrssituationen testen kann.

Weitere Besprechungen zu Ausstellungen in und um München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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