Therese Hilbert in der Pinakothek der Moderne.

Therese Hilbert

»Schmuck trägt mich«

therse hilbert

Therese Hilbert © Otto Künzli

Ein silberner Trichter an einem dünnen schwarzen Strick, als Anhänger um den Hals zu tragen: »Ein Trichter & eine Seele« heißt die Arbeit, und dieser Titel ist Programm. Denn das ist eben nicht nur ein Trichter. Das Stück und mit ihm alle anderen sind kondensierte Erfahrungen. »Meine Sprache sind die Stücke«, sagt die Schweizer Künstlerin Therese Hilbert und vermittelt mit diesem Satz eine Ahnung, was das eigentlich ist, diese Sache mit dem Autorenschmuck. Auch der Titel der Schau ist ein Hinweis: »ROT« heißt die Ausstellung, ein kurzer Titel, und doch steckt das ganze Leben darin, denn Rot steht für die Liebe, genauso wie für Aggressivität und Wut. Rot erinnert an Blut, kann Verletzbarkeit, Gefahr und Tod symbolisieren, aber genauso gut Energie, Kraft und Leben. Rot steht für das ganze Spektrum der Emotionen, und so verweist der Titel auf all das, was in den Stücken der Wahlmünchnerin steckt. Von außen allerdings sind die Stücke zunächst hauptsächlich silbern: von fast weiß bis schwarz, von seidig matt bis blank poliert. Eine der frühesten Broschen besteht aus einer silbernen, leicht welligen Scheibe, etwa in der Größe einer Orange. Hunderte kleiner Pünktchen treten aus der Fläche heraus und erwecken die Oberfläche zum Leben. Der Rand ist hauchdünn mit Gold gefasst. Zart wirkt die Arbeit – heute. In den 70ern war so ein Stück eine Frechheit: riesengroß, nicht mal richtig gerade, und dann auch noch Silber mit Goldgemischt – das war nun wirklich total verpönt.

Der Liebe wegen kommt Therese Hilbert Anfang der 70er Jahre von Zürich nach München und landet direkt in der heute legendären Schmuckklasse von Hermann Jünger an der Münchner Kunstakademie. Plötzlich ist alles erlaubt. Hilbert beginnt, mit Kunststoff zu experimentieren, ein damals im Schmuck völlig neuartiger Werkstoff. Sie zerschneidet Plastiktüten zu kleinen Dreiecken und macht daraus Broschen, die sich beim Tragen wie Wimpel oder kleine Segel hin und her bewegen. Sie macht einen Kettenanhänger in Form eines halbierten Apfels: die Schale aus knallrotem Kunststoff, das Innere ein echtes Apfelgehäuse. Das war Schmuck, den sich ihre eigene Generation leisten konnte, Gold und Edelsteine waren für die Alten, und von denen wollte man sich ja lösen. Therese Hilbert hört Punkmusik und New Wave, geht auf jedes Konzert, von dem sie erfährt, in dieser Musik kann sie »sich verlieren«.

Künstler und Künstlerinnen wie Therese Hilbert erkämpfen damals eine Freiheit, von der heute alle profitieren. Nur einen Kampf, den verliert sie immer wieder: Die Dominanz der Männer auf dem Kunstmarkt ist erdrückend. Frauen können gern Schmuck machen, nur Ausstellungen bekommen sie halt nicht. Therese Hilbert reagiert auf diese Ungerechtigkeit – mit Schmuck. Statt sich ohnmächtig in die Situation zu fügen, fährt sie die Krallen aus. Plötzlich werden die Stücke spitz: Es hagelt Broschen in Form von Wurfsternen, Harpunen, Hellebarden oder gezackten Messern. Die Reihe »Dornen« sieht aus wie eine Mischung aus Kugelschreiber und Ast, mit kleinen Spitzen besetzt, wer Gewehrpatronen darin erkennt, liegt auch nicht ganz falsch.

Auffällig oft entpuppen sich ihre Arbeiten als Gefäße, etwa die Reihe platt gedrückter Minivasen: Die außergewöhnlichen Formen wirken geheimnisvoll. Manchmal kann man wirklich etwas hineintun und die Anhänger als Amulett tragen. Es geht darum, den Dingen einen Raum zu geben, um das Zeigen und Verbergen. Natürlich steckt in jedem Stück eineganz konkrete Geschichte, aber die erzählt Therese Hilbert nicht. Inspiration müsse sie sich jedenfalls nicht in Mexiko holen, die liefere ihr das eigene Leben, Eltern, Ehe, Geschwister und Kinder, Musik und Literatur.

Und dann, in der Hälfte der Ausstellung, gesellt sich zu dem Schmuckmeer aus Silber plötzlich ein markantes Rot: Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich Therese Hilbert mit Vulkanen, jenen vermeintlich stillen Bergen, die sich hin und wieder ziemlich spektakulär öffnen und eine Ahnung davon geben, wie es in ihrem Inneren aussieht. Die Pinakothek der Moderne wird für diese Schau zum Krater, die Balustrade der Rotunde erstrahlt als feurigroter Ring, um den sich die Stücke reihen: Broschen in Kegelformen wie von flüssiger Lava umrahmt. Brocken aus schwarzem Bimsstein oder rotem Obsidian. Schlote, Krater oder Berge, die sich teleskopartig nach oben zu schieben scheinen. Das Silber wird
geschwärzt und legt sich wie Ruß und Asche auf die Formen, an anderer Stelle leuchten knallgelb die Schwefelseen. Therese Hilbert zeigt in »ROT« nicht weniger als ihr Leben und Werk – als Tanz mit dem Vulkan. ||

THERESE HILBERT: ROT
Pinakothek der Moderne | bis 30. Juli
Barer Str. 40 | Di bis So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr
zur Ausstellung erscheint bei arnoldsche Art Publishers, Stuttgart, das erste umfassende Buch über die Schmuckkünstlerin Therese Hilbert mit Texten von Heike Endter, Otto Künzli, Ellen Maurer-Zilioli, Pravu Mazumdar, Angelika Nollert, Warwick Freeman und Petra Hölscher

Weitere Ausstellungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: