Der Münchner Maler Horst Thürheimer präsentiert seine kraftvollen Malereien im B.O.A. Videofilmkunstatelier.

Horst Thürheimer

Spiel mit dem Feuer

horst thürmheimer

Horst Thürheimer: o. T. | 2021 Ölkreide und Feuer auf Papier, 59 x 42 cm © Horst Thürheimer

Horst Thürheimer hat einmal gesagt, ihm ginge es darum, innere wie äußere Welten zu entdecken. Neuerdings kann man wieder auf Entdeckungsreise gehen. Der in Ulm geborene und seit Jahrzehnten in München lebende Künstler hat Arbeiten aus den letzten Jahren noch bis Anfang November in dem renommierten Medienatelier »B.O.A. Videofilmkunst« des Schweizer Filmemachers und Medienkünstlers Peider A. Defilla versammelt.

Auf vielen der insgesamt 54 Gemälde sind schlierenartiges Gewebe, bizarre Gitter und fadenförmige Gebilde zu sehen, die einen spontan an Pflanzen, Würmer oder Zellen unter dem Mikroskop erinnern. Thürheimers Werke besitzen immer ein zumindest utopisches, wenn nicht gar spirituelles Moment. »Ballungen« und »Solaris« hießen daher frühere Serien zutreffend, die neuen Arbeiten tragen keine Titel. Wer mit seinen abstrakten Bildwelten ein wenig vertraut ist, wird auch anderen Motiven begegnen, die in Variationen immer wiederkehren. Hier vor allem die sonnenrunden Kreise, die so dynamisch gemalt sind, dass der Eindruck entsteht, eine ungeheure Zentrifugalkraft hätte sie in Bewegung gesetzt, sowie die vielen hoch emporschießenden, an Kerzen bzw. Fackeln erinnernden Stängel.

In den in einem Hinterhof der Schwanthalerstraße gelegenen Räumen von B.O.A. finden immer wieder Ausstellungen statt. Zum Beispiel hat hier der Holocaust-Überlebende und Zeitzeuge Max Mannheimer noch einmal kurz vor seinem Tod 2016 unter dem Titel »Die Vermählung der Farben« eine Auswahl seiner Arbeiten präsentiert. Der studierte Musiker und Absolvent der Münchner Akademie der Bildenden Künste, Peider A. Defilla, begleitet die zeitgenössischen Künste zudem seit vielen Jahren filmisch. So sind für BR-alpha die Sendereihen »musica viva – Forum der Gegenwartsmusik« und »Kunstraum« entstanden. In letzterer kann man die Entstehung von Kunstwerken ganz unterschiedlicher bildender
Künstler von Anfang bis Ende miterleben.

Zwei Sendefolgen widmeten sich bereits Horst Thürheimers Werkgenese, darunter die zu seinem monumentalen Kreuzwegzyklus aus Glas für die Kirche St. Florian in Riem. Immer wieder schafft Thürheimer packende Glaskunstwerke, zuletzt die »Heilige Familie« für die Kapelle St. Josef in Holzkirchen. Sein angestammter Malgrund ist aber ein anderer: Schweres, hochwertiges und farbempfindliches Büttenpapier, das er auf Karton oder Holzplatten appliziert. Warum er es benutzt, wird verständlich, wenn man sich seine Arbeitsweise anschaut, die durchaus etwas Aggressives besitzt. Thürheimer greift nicht auf Ölfarben zurück, sondern arbeitet in einem ersten Schritt mit dem Graphitstift sowie mit Ölkreiden. Letztlich war und ist er immer zuerst Zeichner, was der Kunst- und Architekturkritiker Gottfried Knapp in dem prächtigen Bildband »Horst Thürheimer. Feuer und Kreide« so beschrieben hat: »Der spezifische Stil seiner Gemälde, ihr pointiert eigenwilliger Auftritt innerhalb der zeitgenössischen Malerei, lässt sich auf zeichnerischgrafische Impulse zurückführen.«

Nach dem Farbauftrag attackiert er das Papier regelrecht. Er hält einen Bunsenbrenner daran, bringt so die Ölkreiden zum Fließen und hinterlässt rhythmisch gesetzte Brandflecken, mitunter sogar Löcher. Diese Verletzungen werden anschließend geheilt, indem sie von hinten mit Papier zugeklebt werden. Glatte Oberflächen sucht man also vergebens. Stattdessen Vertiefungen, Kerben, Aufrauhungen, so dass sich jedes der Blätter zu bewegen scheint.

Zuletzt schuf Thürheimer Arbeiten, die auf das Poem »Dachauer Elegien« von Norbert Göttler reagieren. Im gemeinsamen Buch des Autors, Regisseurs und Bezirksheimatpflegers von Oberbayern und des Münchner Malers, das gerade im Allitera Verlag herauskam, sind die Bilder Thürheimers in Originalgröße reproduziert. Dem Thema Lagerhaft und Vernichtung und der Frage nach einem Umgang damit entsprechend, dominieren düstere Farben; die Gestik evoziert schmerzhaft existenzielle Dimensionen.

Als Ausstellungsfläche ist das »B.O.A.«-Medienatelier mit seinen vielen schmalen Gängen schwierig zu bespielen. Dies ist auch der Grund, warum von Thürheimers großformatigen Bildern gerade mal zwei zu sehen sind – eines von ihnen erinnert an einen regengepeitschten Gewitterhimmel. Ein Nachteil? Nicht unbedingt. Normalerweise ziehen die großen Gemälde die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Nun kann man sich in Ruhe auf die kleineren einlassen, viele von ihnen nicht größer als eine Postkarte. Und siehe da: Sie sind wahre Kraftpakete, strahlen in der Verdichtung ihrer zwischen hellen, lichten Flächen aufscheinenden Muster vor allem in Pechschwarz, sattem Grün und erdigem Braun mindestens ebenso viel Monumentalität aus wie ihre großen Verwandten. Für zusätzliche Spannung sorgen hier die versengten Ränder der Blättchen. Mit einem Gedichttitel des schwedischen Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer könnte man Horst Thürheimer als Maler des »Feuergekritzels« bezeichnen. Feuer ist janusköpfig. Es kann nicht nur zerstören, sondern bringt auch Wärme und Licht ins Dunkel. ||

HORST THÜRHEIMER
B.O.A. Videofilmkunst | Schwanthalerstr. 74–76 | bis März 2023 | Mo–Fr 9–18 Uhr
Buchvorstellung mit dem Künstler: 27. Okt., 19 Uhr

NORBERT GÖTTLER / HORST THÜRHEIMER: DACHAUER ELEGIEN
Einleitung von Gottfried Knapp | Allitera Verlag, 2022 | 52 Seiten, 20 Abb. | 22,50 Euro

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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