Kunst zum Benutzen, technische Meisterleistungen und Ideen für nachhaltige Gestaltung lassen sich auf der Handwerksmesse entdecken – einige Highlights.

Handwerksmesse München 2022

Tradition mit Zukunft

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Großer Blickfang mit zarten Details – Thomas Löber-Buchmann: Schale Keramik, Ø 46 cm | © Thomas Löber-­Buchmann

Zweimal musste die Internationale Handwerksmesse pandemiebedingt abgesagt werden, und mit ihr die parallele »Handwerk & Design«. Nun kann dieses einzigartige Forum für internationales Kunsthandwerk endlich wieder stattfinden, diesmal vom 6. bis 10. Juli, also ausnahmsweise im Sommer. Sonst aber hat sich nichts geändert: Für die konstant hohe Qualität sorgen die Aussteller von ganz allein. Da ist zum Beispiel der Nürnberger Glasmacher Cornelius Réer. Bekannt ist er für seine Becher mit Griffmulden für die Finger, die ganz wunderbar in der Hand liegen. Die ungleichmäßige, amorphe Form sieht fast ein bisschen zufällig aus. Der Mund der Gläser aber trägt einen zarten Streifen Farbe, hier zeigt sich die Präzision, mit der Réer arbeitet. Die Beschäftigung mit dem Material Glas ist für Réer eine immerwährende Forschungsreise. Immer wieder entwickelt er neue Produkte. Zu den jüngsten gehört die Serie »Inside-Out«, eine Art mehrteilige Steckskulptur: Mehrere Schalen und Vasen können so ineinandergesteckt und gestapelt werden, dass eine kleine Skulptur entsteht. Durch die Transparenz der verschiedenfarbigen Gläser ergeben sich so wieder ganz neue Farben. Ein faszinierendes Objekt, aber auch eine voll funktionsfähige Gruppe von Glasschalen, die man selbstverständlich benutzen kann. Damit steht die Arbeit symbolisch für das, worum es auf der »Handwerk & Design« geht: Kunst zum Benutzen.

Einer der Schwerpunkte der Messe liegt in diesem Jahr auf Mode- und Textilarbeiten. Voll im Trend sind beispielsweise Teppiche: Nach einer Phase blanken Parketts und glatter Fliesenböden wollen es viele Menschen derzeit wieder etwas kuschliger unter den Füßen haben. Beispielhaft dafür steht Michelle Mohr und ihre handgemachten Teppiche aus Wolle. Wolle wärmt hervorragend, ist schmutzabweisend, waschbar und umweltfreundlich: Die Textildesignerin aus dem Wendland arbeitet mit der Wolle von Schafen ihrer Umgebung, so bleiben die Transportwege kurz.

Auch die Sonderschau »TALENTE – Meister der Zukunft« mit Arbeiten junger GestalterInnen bis 35 Jahre präsentiert in diesem Jahr auffällig viel Textildesign. Dabei geht es vor allem um Nachhaltigkeit und einen neuen Umgang mit Kleidung. Melis Kiran aus Berlin zum Beispiel beschäftigt sich in ihrem Projekt »yeni deri – neues Leder« mit den Möglichkeiten, ausrangierte Lederbekleidung wiederzuverwenden. Denn auch der eher luxuriöse Naturstoff, den man eigentlich lange tragen könnte, wird heutzutage recht schnell entsorgt. Melis Kiran verarbeitet die Einweg-Lederbekleidung mit verschiedenen Techniken zu neuen Oberflächen. Größere Zuschnitte werden in Lederstreifen geschnitten und verwebt; kleinere Stücke bilden den Grundstoff für eine Art Pulver, das sich, vermischt mit Biopolymeren und Glyzerin, gießen lässt.

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Innovativer Einsatz der Stickmaschine – Detail aus Maartje van Dijcks Projekt »Play with machines« | © Maartje van Dijck, Foto: Frijke Coumans

Um die Masse an Kleidungsstücken zu reduzieren, entwickelte die junge Designerin Amit Giladi das Projekt »UniQform«. Auf den ersten Blick wirken ihre Arbeiten wie normale Stoffbahnen. Doch die Muster darauf sind in Wahrheit Schnittmuster: Die Israelin entwarf drei Kleidungssets aus leicht abbaubarer Baumwolle. Die Designs sind unisex und können durch einen Gürtel reguliert werden. Muster und Schnitt wurden zusammen auf Stoffbahnen gedruckt. Sie können herausgetrennt und zu Kleidungsstücken zusammengenäht werden, wobei darauf geachtet wurde, keinen Stoff zu verschwenden. Das Material und die Form, Technik und Gestaltung sind hier aufs Engste miteinander verwoben.

Einen völlig neuen Umgang mit Stoffen zeigt Maartje van Dijck aus den Niederlanden. In ihrem Projekt »Play with machines« legt sie konventionelle Kleidungsstücke so in eine Stickmaschine ein, dass möglichst viele Falten entstehen. Durch das Sticken werden die Falten fixiert. Das Kleidungsstück bekommt ein Volumen und eine ganz neue Silhouette. Manchmal fügt die Designerin noch Stoff hinzu oder arbeitet mit Farbe. Die Industriemaschine fertigt hier ausnahmsweise keine Stangenware, ganz im Gegenteil: Aus einem Massenprodukt wird ein sehr besonderes, individuelles Kleidungsstück, das deshalb vielleicht mehr geschätzt und länger getragen wird.

Zu den Highlights der »Handwerk & Design« gehören traditionell die »Lebenden Werkstätten« der Sonderschau EXEMPLA. Auch in diesem Jahr werden viele GestalterInnen vor Ort arbeiten. »Dem Himmel ein Stück näher« lautet das Motto von Johannes Schalle und seiner Firma Baumbaron in Tegernsee. Der Zimmermeister und Hochbautechniker ist Baumhaus-Spezialist. Zusammen mit dem amerikanischen Baumhaus-Papst Pete Nelson (der mit »Treehouse Masters« in den USA jahrelang eine eigene Fernsehshow hatte) wird Schalle in den fünf Messetagen ein komplettes Baumhaus in der Halle errichten.

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Mehrteilige, lose ineinander gefügte Glasobjekte – Cornelius Réer: aus der Serie »InsideOutside« | am Schmelzofen formgeblasen, mit Überfangtechnik und Schliff © Cornelius Réer

Bei so viel Natur auf der Messe dürfen auch Schweine, Füchse und Ziegen nicht fehlen: Die preisgekrönten Handspielpuppen von Maria Barleben sind aus hochwertigen Mohair- und Alpakastoffen genäht. Gefertigt werden sie in einer kleinen Manufaktur in Endingen am Kaiserstuhl in Baden-Württemberg. Mit ihrem Klappmaul, dem beweglichen Körper und der natürlichen Gestaltung rühren die Handpuppen die Herzen von Jung und Alt. Die einheimischen Tiere kommen ganz ohne comichafte Überzeichnung aus. Ihre klassische Formgebung erinnert an Großmutters Zeiten. Und wo, wenn nicht im Spielzeug, hat Nostalgie ihren festen Platz. Wahre technische Meisterleitungen sind die farbenprächtig gemusterten Teller und Schalen von Thomas Löber-Buchmann aus Halle an der Saale. Der studierte Keramiker nutzt eine Technik, die dem Flach- und Tiefdruck ähnelt. Als Druckstöcke dienen entsprechend vorbereitete Gipsflächen, von denen die schichtweise aufgebrachten, farbigen Porzellanengoben mit feuchtem Ton abgenommen werden. Später können noch Collage-, Einlegetechnik oder Ritzzeichnungen angebracht werden. Am Ende fügen sich die verschiedenen Porzellanschichten zu einer Oberfläche voller Tiefenillusion, kombiniert mit extrem feinen Details und einer großen Bandbreite von Farbwirkungen. Geschmiedet wird am Stand der Schmuckkünstlerin Bettina Dittlmann. Die Goldschmiedin ist für ihre Emaillearbeiten bekannt. Mit einem kleinen Studioofen im Gepäck wird sie auf der Messe einen Einblick in die Arbeit mit dem Glaspulver geben. Außerdem schmieden sie und ihr Mann Michael Jank live und vor Ort ihre »Fürimmerringe«: klassisch aufgedornt aus einem einzigen Stück reinen Metalls.

Nach mehrmaligen Verschiebungen kann die »EXEMPLA«, die größte der von der Handwerkskammer für München und Oberbayern organisierten Sonderschauen, endlich ihr 50-jähriges Jubiläum nachfeiern. Neben neuen Entwicklungen wird daher auch ein Best-of bisheriger Messen gezeigt: Aussteller, die in den vergangenen Jahrzehnten beim Publikum besonders große Erfolge feierten, wurden noch einmal auf die Messe geladen – natürlich mit weiterentwickelten Produkten. Der Glasapparatebauer Sigi Franz aus Burghausen zum Beispiel beeindruckte das Publikum schon vor einigen Jahren sowohl mit Glasapparaten für Labore als auch mit gläsernen Kunstwerken. Seine Firma »Glaspunkt« hat er bereits in jüngere Hände übergeben. Jetzt sind die Nachfolger vor Ort und zeigen, wie sie die Zukunft gestalten. Martin Deggelmann imponiert mit modernster Blech- und Formtechnik. Der Karosseriebauer arbeitet mit einem maschinellen Kraftformer, mit dem er Bleche kalt stauchen, strecken, wölben und glätten kann. Aus seinem Betrieb »Martelleria« aus Forstern in Oberbayern stammen zum Beispiel die riesigen »Lampenschirme« an der Münchner U-Bahn-Haltestelle Westfriedhof: elf Aluminiumkuppeln mit einem Durchmesser von fast vier Metern, gestaltet vom 2019 verstorbenen Lichtdesigner Ingo Maurer. Auch Fassadenelemente der Münchner BMW-Welt und zwölf Liftkabinen mit umgeformtem Glas für die Apple-Zentrale in London stammen aus der Martelleria. Deggelmanns Firma ist zugleich die Instanz für die hochwertige handwerkliche Restaurierung von Karosserien. Auf der Messe zeigt er einen von ihm restaurierten und rekonstruierten Oldtimer von 1961. Einmal mehr entpuppt sich die »Handwerk & Design« als wahres Füllhorn der Möglichkeiten und Ideen. Eine solche Dichte an kreativen und hochkomplexen Arbeiten kann einen nur hoffnungsfroh in die Zukunft des gestaltenden Handwerks blicken lassen – und animiert vielleicht, selbst ein solches zu erlernen. ||

HANDWERK & DESIGN AUF DER INTERNATIONALEN HANDWERKSMESSE
Halle B5 | 6.–10. Juli | 9.30–18 Uhr

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