Eine intensive Wahrnehmungsübung: »In Feldern«, das Tanzstück von Stephan Herwig kommt im Schwere Reiter zur Wiederaufnahme.

Stephan Herwig. »In Feldern«

Fragile Gewebe

stephan herwig

Anna Fontanet in Stephan Herwigs »In Feldern« | © Franz Kimmel

Ein Tänzer liegt hinter einem semitransparenten Objekt und hebt mit mikroskopisch kleinen Bewegungen Arme und Beine. In Zeitlupe wird der Rücken rund, die Hände wandern nach oben. Auf jeden Finger kommt es jetzt an. Der Soundtrack bringt derweil Regen, Grillenzirpen – oder ist es ein elektrisch geladenes Knistern? So beginnt Ende Oktober 2020 Stephan Herwigs Tanzstück »In Feldern«: Mit ganz viel Ruhe! Einige Minuten dauert es, bis Gaetano Badalamenti die Seitenlage verlässt, fast zehn, bis die Musik Fahrt aufnimmt, nach zwölf kommt Giovanni Zazzera dazu; und erst nach 14 auch Anna Fontanet und Susanne Schneider – und der Cast ist komplett.

Die Sinne der Zuschauer waren damals vom LivetheaterEntzug im Lockdown geschärft und bereit, jede noch so minimale Verzögerung, jeden Energie-Shift seismografisch aufzuspüren. Ideale Bedingungen für eine Arbeit dieses Virtuosen der Stille, die nun erneut ins Schwere Reiter kommt – mit Novitäten, an denen sich Herwig kurz vor seinem Jubiläum als Choreograf ausprobiert hat. Nach 15 Jahren, in denen er den Raum so gerne für den Tanz alleine hatte, stand da plötzlich ein mit Schnüren bespannter Paravent mit auf der Bühne, den Mirella Oestreicher irgendwo zwischen verzogenem Fußballtor, Webrahmen und Lichtfänger angesiedelt hat. Und für die Musik, die er über die Jahre immer mehr reduzierte, hat Herwig erstmals einen Komponisten beauftragt.

Das die Blicke auf sich ziehende und die Sicht auf die hinter ihm Tanzenden verwischende Bühnenobjekt betont das vertikale Eingespanntsein des Tanzes in den Raum. Daniel Doors kalter, treibender, immer wieder auf das diffuse Eingangszirpen zurückkommender Beat schafft oder unterstützt Inseln der Dynamik und der Ruhe. Auf einer von ihnen sitzen die Tänzer:innen wie wachsam nach allen Richtungen Ausschau haltende Alraunen, die sich am Boden fortbewegen, mit unauflöslicher Bindung ans Erdreich. Eine andere, stark repetitive, fast meditativ wirkende Sequenz endet mit einem Rotorengeräusch, das die Köpfe nach oben lenkt und die Körper sich aufrichten und den Blicken hinterherwachsen lässt. Und in sich im Raum fortpflanzenden und von Performerin zu Performer überspringenden Drehbewegungen spiralen die vier solipsistisch um sich selbst: wie florale Wesen, die von heimtückischen Windstößen mal im Pulk und mal solo verwirbelt werden.

Synchronität, lange und immer knapper verfehlt, dann kurz erreicht, um wieder verloren zu gehen, erscheint nicht als Ziel, eher als schöner Zufall. Auch damit erzählt dieser Abend von den fragilen Geweben, die unsere Gemeinschaften sind. Möglich, dass die Pandemieerfahrung hier mit hineininterpretiert hat. Denn »erzählt« wird eigentlich nichts; nur zum Weiterspinnen und -denken angeboten. »In Feldern« ist durch individuelle Körper und Wahrnehmung gefilterte Abstraktion, ganz weit weg von jedweder Narration oder Gefühlsathletik. Doch spätestens wenn die vier Performer:innen wiederholt zueinander huschen, sich eindrehen zu diesem vielköpfigen Herwig-Organismus, können dem Betrachter schon mal Begriffe wie Umsicht, Respekt und Achtung in den Sinn kommen. ||

IN FELDERN
Schwere Reiter | 25.–27. März | 20.30 Uhr

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