Vor neun Jahren startete mit der Compilation »Songs of Gastarbeiter« eine Diskussion um Musik und Integration. Der zweite Teil der Sammlung führt sie nun fort.

Songs of Gastarbeiter Vol. 2

Es kamen Menschen

songs of gastarbeiter

Bülent Kullukcu (l.) macht Musik und Theater, Imran Ayata schreibt. Gemeinsam kümmern sie sich mit »Songs of Gastarbeiter« um Erinnerungskultur © Trikont

Ihre erste gemeinsame Compilation »Songs of Gastarbeiter Vol. 1«, die der Berliner Autor Imran Ayata und der Münchner Musiker und Theatermacher Bülent Kullukcu 2013 bei dem Münchner Label Trikont veröffentlichten, erinnerte an eine türkische Popmusik made in Germany, die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft allerdings kaum, wenn nicht gar nicht stattfand. Und das, obwohl manche der in Deutschland produzierten Schallplatten von türkischen Musikern sich hierzulande so gut verkauft hatten, dass sie sogar als sogenannte »Goldene Schallplatten« ausgezeichnet wurden. Doch gekauft wurden jene Tonträger fast nur von türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland lebten. Bedenkt man zudem, dass auf vielen Singles der türkischen Musiker sogar deutsch gesungen wurde, hätten diese Künstler eigentlich neben der griechischen Nana Mouskouri, der französischen Mireille Mathieu und dem tschechischen Karel Gott Dauergast in den bundesdeutschen Schlagersendungen sein müssen.

Doch die türkischen Popstars, die auf deutsch-türkischen Labels wie Türküola in Köln, Minareci in München und Uzelli in Frankfurt veröffentlicht wurden, waren, vereinfacht ausgedrückt, nicht als Musiker nach Deutschland gekommen, sondern als billige Arbeitskräfte. Als sogenannte »Gastarbeiter«, wie Imran Ayata und Bülent Kullukcu auch im Titel ihrer Compilation erinnern. Arbeiter also, die schon dem Namen nach nur zu Gast in Deutschland waren und darum in der Vorstellung mancher Zeitgenossen eigentlich keine Bürgerrechte haben sollten. Und die nach der Maloche wieder in ihre Herkunftsländer zurückziehen sollten, gleichwohl sie natürlich auch ins deutsche Rentensystem eingezahlt hatten. Vor allem aber waren Gastarbeiter in der mehrheitlichen Vorstellung für gering geschätzte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zuständig. Dazu hätte wohl kaum gepasst, dass einer von ihnen als Popstar in den deutschen Medien gefeiert würde, meinte der Kunst- und Designwissenschaftler Prof. Dr. Holger Lund letztes Jahr bei einem Vortrag im Münchner Import Export über eine türkische Popkultur in Deutschland. Sein Fazit: »Eine Begegnung auf Augenhöhe war nicht gewünscht.«

Letztlich würde das auch erklären, warum deutsches Allgemeinwissen ausreichend viele französische, englische, amerikanische oder gar russische Schriftsteller, Komponisten, Musiker, bildende Künstler oder Filmemacher benennen könnte, kaum aber türkische Vertreter einer Pop- oder Hochkultur kennt. Obwohl zum Beispiel die Grande Dame der türkischen Popmusik, Sezen Aksu, weltweit in renommierten Häusern wie der Royal Albert Hall in London oder der Carnegie Hall in New York gastiert, gingen zu ihren Münchner Konzerten fast nur türkischstämmige Besucher, und die deutschen Medien nahmen kaum Notiz davon. Solche Ignoranz wird freilich auch nicht von Ayata und Kullukcu korrigiert. Ihr Augenmerk gilt vielmehr der Geschichte der Einwanderung und der ersten »Gastarbeitergeneration« aus migrantischer Sicht, die die Menschen über ihre Musik erzählen. Etwa über einen Song, den ein junger Ozan Ata Canani dann immerhin Anfang der 1980er Jahre in einer deutschen Fernsehshow von Alfred Biolek singen durfte: »Arbeitskräfte wurde gerufen, aber Menschen sind gekommen«, heißt es darin frei nach Max Frisch. Für ihre Compilation hatten Ayata und Kullukcu den Sänger Canani wiederentdeckt. Dreißig Jahre nach dessen Fernsehauftritt ließen sie ihn den Song von damals noch einmal aufnehmen. Daraus resultierte ein Comeback des Musikers, der letztes Jahr in den Münchner Kammerspielen nach mittlerweile vierzig Jahren endlich sein jüngst produziertes Debütalbum »Warte mein Land, warte« präsentieren
durfte.

Und auch auf der bei Trikont nun erschienenen Compilation »Songs of Gastarbeiter Vol. 2« ist Canani erneut vertreten, diesmal allerdings partytauglich remixt vom Frankfurter Balkanbeat-Star Shantel. Hatte die erste Zusammenstellung wohl auch wegen der Sozialisation ihrer Herausgeber als türkischstämmige Gastarbeiterkinder sich ausschließlich mit einer türkischen Popkultur aus Deutschland auseinandergesetzt, dokumentiert der Nachfolger nun auch spanische und griechische Produktionen aus deutschem Lande. Etwa das Lied »ΠΡΩΤΟΜΑΓΙΑ«, das die griechische Band Proechòs aus Frankfurt am Main 1984 im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds für eine TV-Show geschrieben hatte. Weil auch hier keine Aufnahme mehr zu finden war, ließen AyKu, wie sich Ayata und Kullukcu mittlerweile auf zahlreichen gemeinsamen Vorträgen nennen, jenen Song zusammen mit anderen Titeln auf dem Album neu aufnehmen. Einige längst in Vergessenheit geratene Musiker hätten sich schon darüber gewundert, dass sie nun Teil einer Compilation sein sollen, betonen AyKu in ihren Interviews zum neuen Album. Und stolz weisen sie darauf hin, dass mit der Weimarer Band Bayan auch ein asiatischer Musiker aus einem »Bruderstaat der DDR« auf »Songs of Gastarbeiter Vol. 2« vertreten ist.

Trotzdem räumen die Herausgeber im Booklet zum Album ein: »Und dann gab es noch die DDR. Wir haben viel Zeit damit verbracht, die Musikszene der Vertragsarbeiter zumindest rudimentär zu kartografieren. Gelungen ist uns das nicht.« Tatsächlich aber unterstreicht solches Bekenntnis zu eigenen Schwächen, worum es in beiden Songsammlungen geht: um eine Einladung, die Geschichte der Einwanderung aus der Perspektive der Migranten und Migrantinnen neu zu erzählen. Damit wird vielleicht auch ein nationalistisch gefärbtes Deutschlandbild korrigiert. ||

ERSCHIEDENE INTERPRETEN: SONGS OF GASTARBEITER VOL. 2
trikont/Indigo

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