Ingmar Bergman hat mehrere Dutzend Spiralhefte mit Notizen und Filmentwürfen gefüllt. Davon auch etliche aus seiner Zeit am Münchner Residenztheater. Eine Auswahl davon ist nun auf Deutsch erschienen.
Ingmar Bergman: »Ich schreibe Filme«
Das Schreiben vor dem Film
»Ich weiß, dass ich alles in Bildern und Situationen sehe, die ich in Worte für ein Drehbuch zu übersetzen versuche und dann zurück in den Film«, notiert Ingmar Bergman in einem seiner Arbeitstagebücher. Am gleichen Tag schreibt er: »Soll mit ›Lächeln einer Sommernacht‹ nach Cannes. Bin sehr bedrückt und nervös. Stig Ahlgren hat den Film heute aufs Schlimmste verrissen.« Wenige Tage später erhält er für seine Filmkomödie in Cannes einen Sonderpreis für poetischen Humor. Der Film wird sein erster internationaler Erfolg.
Bergmans Arbeitstagebücher waren kleine Spiralhefte, in denen er fortwährend in kaum leserlicher Schrift Notizen und Entwürfe zu seinen Filmen notierte und sich selbst in seinem Schaffensprozess beobachtete. Am Ende seines Lebens – Bergman starb 2007 – hatten sich über sechzig Hefte angesammelt, die 2008 erstmals in Schweden in zwei Bänden mit über tausend Seiten erschienen. Eine Auswahl davon wurde nun unter dem Titel »Ich schreibe Filme – Arbeitstagebücher 1955-2001« von der Schauspielerin und Übersetzerin Renate Bleibtreu ins Deutsche übertragen.
Die Notizen von fast einem halben Jahrhundert zeigen, wie einer der größten Regisseure des 20. Jahrhunderts seine Filme in Worten erdachte, wie er Filme schrieb. Bilder und Szenen werden imaginiert und als Rohentwürfe festgehalten, umgeschrieben, verworfen oder später nahezu eins zu eins übernommen. Richtige Drehbücher gab es bei Bergman nicht. Im April 1956 notiert er: »Ich stelle mir einen weißen, verblichenen Filmstreifen vor, und der läuft durch den Projektor, und allmählich zeichnen sich Worte ab auf der Tonschleife. Allmählich dann das Wort, das ich mir vorstelle. – Und dann ein Gesicht, undeutlich, fast aufgelöst im Weißen.« Es sind erste Überlegungen für die berühmte Anfangssequenz von »Persona«, einem seiner bekanntesten Filme, ein verworrenes, filmisches Rätsel über eine verstummte Schauspielerin und ihre Pflegerin.
Ende der 1970er flüchtet Bergman vor der schwedischen Steuerbürokratie nach München. Er inszeniert für das Residenztheater und dreht zwei Filme. Ein dritter sollte nie den Weg auf die Leinwand finden. »Liebe ohne Liebhaber« heißt er, ein Film ohne Film. Man hätte die wilden Visionen über ein München zwischen Prunk und Abgrund gerne im Kino gesehen. Ein Anarchist ermordet Franz Josef Strauß, ein Bischof verkehrt mit einer Prostituierten und »aus Dachau hört man die Schreie der Gemarterten und Todgeweihten. Festakt in der Staatsoper, mit Frack und Orden und enormer Pracht«. Es sollten »kurze, präzise Szenen, nicht viel Dialog« sein, »und harte Übergänge«.
Die losen, fast täglich notierten Tagebucheinträge zeugen von einem unablässig arbeitenden Künstler, der sich auch immer selbst in gewitztem Ton reflektiert: »Ich will keine einzige Szene schreiben, zu der ich nicht Lust habe, und keine ohne kinematografischen Gehalt. Merk dir das, Blödmann.« In seinem letzten, undatierten Eintrag, vermutlich 2006, ist es kein Film mehr, den er entwirft. Es ist sein nahes Ende, von dem er weiß: »Jetzt bin ich schon recht lange hier und meine Kreativität ist verblasst und verstummt.« ||
INGMAR BERGMAN: ICH SCHREIBE FILME. ARBEITSTAGEBÜCHER 1955-2001
Herausgegeben und aus dem Schwedischen übersetzt von Renate Bleibtreu | Berenberg, 2021 | 448 Seiten | 28 Euro
Weitere Buchkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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