Karl F. Gerber komponiert für Automaten, die er selbst konstruiert. Manchmal spielen auch Menschen mit.

Karl F. Gerber

Mensch-Maschine

karl f. gerber

Karl F. Gerber konzipiert Musik und Maschinen, Karina Erhard spielt die Flöte und Christoph Reiserer kümmert sich um die restlichen Instrumente © privat

Ob Androiden von elektrischen Schafen träumen, fragte einst der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick im Titel eines Romans. Der sollte zur Vorlage für »Blade Runner«, einen der berühmtesten dystopischen Filme der Gegenwart, werden und gleichzeitig eine immer drängender werdende Frage stellen: Wieviel Menschlichkeit gestehen wir Robotern, Replikanten und sämtlichen anderen Grenzfiguren zu? Träumen Violinautomaten von elektrischen Flöten, das könnte sich der Zukunftsdenker der Münchner Musikszene Karl F Gerber fragen. Der Komponist (und diplomierte Physiker) schreibt schon für Nicht-Roboter Musik, die eine gewisse maschinelle Ästhetik atmet. In bleibender Erinnerung ist etwa eine Miniatur, die er 2013 beim Musikfest der MGNM (Münchner Gesellschaft für Neue Musik) im Schwere Reiter vorstellte: Eine kleine Cembalokomposition, die computerbasierter klang als jeder Synthesizer, aber völlig analog von zwei menschlichen Pianisten gespielt wurde. Doch über seine Musikautomaten, die zuletzt auch noch interaktiv wurden, entsteht eine Kunst, die weit mehr ist als das Faszinosum einer den Menschen imitierenden Maschine.

Das wohl ambitionierteste Projekt seiner Mensch-Maschinen-Musik ist der Violinautomat, dessen Prototyp Gerber 2012 im Deutschen Museum erstmals vorgestellt hatte. Geige, dieses an sich so schwierige Instrument, bei dem man Hören muss, ob man den richtigen Ton spielt, in die Obhut einer Maschine zu geben, erscheint zunächst tendenziell größenwahnsinnig. Und dann auch wieder ganz drängend: Denn hier, im Gehör, in der musikalischen Einordnung der Wahrnehmung, muss da nicht irgendwo der Unterschied zwischen Mensch und Automat liegen? Wenn man nun den Violinautomaten in Aktion sieht, entsteht etwas erschreckend Faszinierendes. Es ist eine Maschine, deren Automatik und Innenleben in zahlreichen Kabeln, Gelenken, Platinen, drei Bögen und vielen Haken (für die Pizzicati und die unterschiedlichen Tonhöhen)offensichtlich ist. Irgendwo darunter liegt die Violine wie in einem Sarg.

Doch der Schauer dieses technisierten Künstlers wird erst so richtig spürbar, wenn er zu spielen beginnt. Denn er reagiert. Er kann auf die menschliche und sehr grandiose Flötistin Karina Erhard als musikalischen Partner reagieren. Daraus entsteht im Stück »Approaches« (2020 im Schwere Reiter uraufgeführt) ein zunächst sanft barockisiertes Stück aus dem sich allmählich Unmenschliches herauskristallisiert. Etwa, wenn die Bögen des Automaten so blitzschnell über die nur dreisaitige Geige ziehen. Notenwert? Einhundertachtundzwanzigstel. Oder noch mehr? So schnell, dass nur ein Tremolo-Zittern übrig bleibt, das von überwältigender Regelmäßigkeit ist. Scharf wie eine Stichsäge. Wie das Schaudern des menschlichen Körpers angesichts so übermenschlicher Maschinen.

Doch zurück zu den Fakten: Karl F Gerber, der Nerd, der Physiker, der Musiker entwickelte also mit Christoph Reiserer (Klarinettist, Komponist und Saxofonist) aus der Automaten-Konstruktion eine Art Spiel. Reiserer erschuf ein automatisiertes Drumset, 2018 traten sie gemeinsam mit einem Flötenroboter auf. Der wird jetzt wunderbarerweise und lebendig durch Karina Erhard ersetzt. Zum Violinautomat samt Partner gesellt sich noch ein Holzblasautomat und eine automatisierte Altblockflöte. Christoph Reiserer spielt Klarinette und Saxophon, ergänzt um Gitarrenroboter, Drum-Roboter und ein E-Harmonium. Kompositionen für Trios aus Mensch und Maschine, für Science-Fiction-Fans und Neue-Musik-Connaisseure gleichermaßen. ||

KARINA MEETS THE ROBOTS
neues schwere reiter, Dachauer Str. 114 a
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