Die ERES-Stiftung zeigt bis Januar 2022 die komplexen Arbeiten von Tue Greenfort.

Tue Greenfort: »Alga«

Algen für die Welt

tue greenfort

Tue Greenfort: »Ulva I« und »Ulva III« | 2020/21 | Glas, Holz, Acrylschnur bzw. Draht,jeweils 50 x 50 x 300 cm (variabel) im Hintergrund: »Meereseiche« | 2021 | Cyanotypie,119 x 83,5 cm | © ERES-Stiftung, Foto: Thomas Dashuber

Spirulina und die Nori-Alge, mit der Sushi schwarzbraun eingepackt wird, schätzt so mancher Gourmet – oder der gesundheitsbewusste Mitbürger, der sich in Bioläden und mit Entgiftung auskennt. Die weit verbreitete Chlorella vulgaris – der Künstler Thomas Feuerstein arbeitete damit in der Ausstellung »gREen« im September im Muffatwerk – wird wissenschaftlich und wirtschaftlich viel genutzt. Aber sonst?

Die »böse« Blaualge, die allerlei Gewässer umkippen lässt, ist gar keine. Allerdings hatten Cyanobakterien – teils immer noch Blaualgen genannt – hohen Anteil an der Entstehung des blauen Planeten. Sie produzierten in der Ursuppe den von uns so dringend benötigten Sauerstoff. Und wenn man ferne Planeten mittels Terraforming erdähnlich umbauen will, spielen sie in den Visionen eine bedeutende Rolle. Aber so weit geht die assoziationsreiche und vielerlei Verbindungen knüpfende Ausstellung mit dem Titel »ALGA« (lat. Algen) von Tue Greenfort in der Eres-Stiftung dann doch nicht.

Der speziell für seine Freilandinstallationen bekannte dänische Konzeptkünstler und documenta-Teilnehmer Greenfort (geb. 1973), der mit der Algen-Schau seine erste Einzelausstellung in München zeigt, lenkt den Blick auf ein zwar bekanntes Phänomen. Aber sein Projekt ist eine Entdeckungsreise in die Welt von Organismen, die sich biologischer Systematik und Zuordnung entziehen. Denn Algen betreiben zwar alle Photosynthese, sind aber keine geschlossene biologische Verwandtschaftsgruppe. Und besitzen ziemlich gegensätzliche Eigenschaften – für den Menschen und die Tierwelt. Es gibt lebensbedrohend giftige, andere gelten als Superfood und Heilmittel. Manchen traut man zu, den Grundstoff für Biokerosin zu liefern. Algen leben in Meer- und Süßwasser, auf Schnee oder in der Luft: eine anpassungsfähige Spezies.

Greenfort geht es um die Schaffung eines veränderten Blickwinkels auf die uns scheinbar vertraute Natur. Um die Infragestellung klischeehafter, dem Menschen dienender Naturbetrachtungen. Stattdessen will er mit seinen Projekten Neugierde wecken. Dies geschieht vor dem Hintergrund aktueller philosophischer Diskurse über den anthropozentrischen Blick auf die Welt, auch auf die Pflanzenwelt. So steht in Greenforts Arbeiten kein Nützlichkeitsaspekt im Vordergrund oder gar eine romantische Verklärung von unberührter Umwelt oder eine Klage über Manipulation und Zerstörung der Umwelt. Er bemüht sich um eine neue Beziehung und Kommunikationsform zum Pflanzenleben.

Erst einmal bedient er sich dafür künstlerischer Ästhetik, womit der Besucher für sein eigentlich nicht gerade supersexy anmutendes Thema »Algen« gefangen genommen wird. Faszinierende meterlange Glasskulpturen, die von der Decke hängen, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Transluzente gläserne grüne oder hellgrüne Blätter sind zu speziellen Trauben gebündelt. Jedes einzelne grüne Glaselement, das in einer uralten schwedischen Glasmanufaktur nach KünstlerAngaben angefertigt wird, ist ein Kunstwerk für sich, jedes ist anders. Und die Blätter können auch unterschiedlich gruppiert werden. Der Titel der Arbeit lautet »Ulva«, was Meersalat oder Meerlattich bedeutet. Und damit darauf hinweist, dass diese in allen Meeren verbreitete Alge mit ihren schlaffen Salatblättern tatsächlich als Nahrungs- oder Futtermittel Verwendung findet – mit viel Vitamin C, Proteinen, Jod und Eisen.

Hat man die Eyecatcher – dazu zählt auch die rote Tiefseequalle Periphylla Periphylla – hinter sich gelassen, wird es ernst. Wobei auch die rote Kronenqualle als Menetekel verstanden werden kann: Das in nahezu allen Ozeanen der Welt vorkommende, durch Bioluminiszenz von innen leuchtende Nesseltier ist extrem lichtempfindlich. Denn Sonnenlicht verwandelt einen körpereigenen Farbstoff in ein Gift, das die Qualle töten kann. Was sie allerdings nicht davon abhält, sich derzeit etwa in Norwegens Fjorden massenhaft zu vermehren, als Planktonfresser zur Nahrungskonkurrentin der Fische und damit zur Bedrohung für den Fischereibetrieb zu werden. Mit solchen Verweisen verknüpft der Künstler Mikro- und Makrokosmos und verdeutlicht nicht zuletzt die Eine-Welt-Vorstellung.

Neben quadratischen Gipsabdrücken vom Nordseestrand mit dem Titel »Earthscape«, in denen sich Sand, Steine, Pflanzen, Seegras und Muscheln ein munteres Stelldichein geben, werden auch immer wieder Bezüge zu Oberbayern und seinen algenreichen Seen und Flüssen hergestellt. Zum einen finden sich Druckwerke, Zeitungsseiten oder -ausschnitte, die spezielle Themen erläutern. Zu lesen als Inkjet-Transfer auf Aluminiumplatte: »Der Ammersee stinkt«, »Gefährdete Flusslandschaft« oder »Algen helfen dem Klima«. Besonders bemerkenswert: die Wasserfilterungen, die Greenfort in oberbayerischen Gewässern vornahm. Er ließ die Wasserströmung sozusagen durch Filterpapier laufen und fing damit die Algen und Mikroorganismen auf dem Papier ein. Diese etwas spröden Arbeiten bilden freilich eine Art Algen-Panorama vom Chiemsee über den Tegernsee, Staffelsee, Wörthsee bis zum Kleinhesseloher See im Englischen Garten in München. Von den Flüssen sind etwa die Loisach, die Isar, die Weißach oder die Amper mit ihren Algen vertreten.

Miteinbezogen werden auch die Besucher: In einem »Algenlab« können sie mitgebrachte Wasserproben unter einem Mikroskop untersuchen lassen. Die gefundenen Organismen sind anhand von Bestimmungsbüchern zu identifizieren. Ein Mikroskopaufsatz ermöglicht es, Fotos zu machen und diese dann mit nach Hause zu nehmen.

Wie komplex der Künstler denkt und arbeitet, zeigt vielleicht am schönsten die aus Video, C-Prints, gerahmten Objekten bestehende Urea-Serie von 2014. Urea, Harnstoff, wurde als erste organische Verbindung synthetisiert und avancierte bald zum bedeutendsten Stickstoffdüngemittel, zum Kunstdünger für Hochleistungssorten in der Landwirtschaft. Die Folgen sind bekannt: Phosphate und Stickstoffverbindungen gelangen in die Flüsse und so in die Meere. Dort verursachen sie starkes Algenwachstum – mit negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna. Greenfort macht daraus aber kein Klagelied. Er schafft ein Video, in welchem mittels Lichtfilter das Licht so gebrochen wird, dass die Kristalle in Spektralfarben leuchten und das Ganze zum vitalen Augenschmaus wird. ||

TUE GREENFORT: ALGA
ERES-Stiftung | Römerstr. 15 | bis 29. Januar 2022 | Samstag 11–18 Uhr und nach Vereinbarung (089 38879079) | Eintritt frei
Es gilt die 3-G-Regel | Wissenschaftsprogramm

Weitere Ausstellungen in München finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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