»›Wir Schwarzen müssen zusammenhalten‹ – eine Erwiderung« unternimmt für die Kammerspiele einen rasanten Streifzug durch den deutschen Kolonialismus in Togo und die Amigo-Geschäfte von Strauß mit Diktator Eyadéma.

Münchner Kammerspiele: »›Wir Schwarzen müssen zusammenhalten‹ – eine Erwiderung«

Auf der Suche nach einem neuen »Wir«

wir schwarzen

Geisterjägerin Cycy (Nancy Mensah-Offei) trifft auf FJS | © Thomas Aurin

Der Spruch »Wir Schwarze müssen zusammenhalten« als appropriative Erweiterung des allseits beliebten »Mir san mir« geistert noch immer gelegentlich durch Fußballstadien oder ostentativ renitente Altherrenrunden. Dabei ist der historische Ursprung heute kaum noch präsent. Franz Josef Strauß prostete ihn im Jahr 1984 seinem Spezl und Jagdfreund Diktator Gnassingbé Eyadéma anlässlich einer Feier zur »100­jährigen deutsch­-togolesischen Freundschaft« zu. Bei dieser Freundschaft handelte es sich in Wahrheit um die systematische Ausbeutung des westafrikanischen Landes und seiner Bevölkerung durch deutsche Kolonialherren und später Investoren. Jan-­Christoph Gockel, Hausregisseur der Kammerspiele, und ein interkulturelles Team, bestehend aus dem deutschtogolesischen Ensembleschauspieler Komi Togbonou, dem togolesischen Autor Elemawusi Agbédjidji und vielen anderen, haben sich in ihrer »Erwiderung« daran gemacht, die verschüttete Geschichte ans Tageslicht zu bringen, und sind dafür auch nach Togo gereist, um vor Ort zu filmen und nach Anknüpfungspunkten für die gemeinsame künstlerische Recherche zu suchen. Herausgekommen ist dabei ein wildes Mash­up aus Zeiten, Genres und Perspektiven, das auf die Frage, ob trotz vergiftetem Untergrund dennoch eine fruchtbare Zusammenarbeit entstehen könne, durchaus positive Antworten findet.

Der live gestreamte und mit vorproduziertem Videomaterial angereicherte Abend beginnt mit einer Begrüßung durch die Schauspielerin Jeannine Dissirama Bessoga, die zeitgleich bei tropischer Hitze durch Togos Hauptstadt Lomé schlendert, während sich im Werkraum der Kammerspiele ihre Kolleg*innen auf einen unruhigen Flug in die Vergangenheit vorbereiten. Kurz darauf, im Jahr 1914, verteidigt der schwarze Funker Siegfried Gaba Bismarck (Komi Togbonou) mit Pickelhaube die damals weltgrößte Funkstation des deutschen Kaiserreichs in der deutschen »Musterkolonie« Togo. Mit seinem Signal ruft er die im schamanistischen Raumanzug aus dem Comic von Paulin Assem direkt zwischen den Ruinen der kolonialen Vergangenheit abstürzt und sich sogleich auf die Suche nach deren Schatten macht, beispielsweise deutschen Ärzten wie Robert Koch, die dort an unfreiwilligen Einheimischen neue Medikamente testeten, und später dann Franz Josef Strauß – hier als selbstherrlich grummelnde Marionette, geführt von Michael Pietsch. In sarkastischen Anekdoten beschwören sie zusammen die Zeiten, als der bayerische Ministerpräsident mit dem menschenrechtsverletzenden Machthaber Eyadéma und dem Rosenheimer Wurstwarenfabrikanten Josef März (Martin Weigel, dampfend in voller Eishockey­-Montur) bei der Großwildjagd unheilige Allianzen schmiedete. Noch heute wird in Lomé im Gedenken daran ein Oktoberfest gefeiert und die deutsche Kolonialherrschaft im Vergleich zur französischen mitunter sogar nostalgisch verklärt, wie der togolesische Germanist und Kolonialhistoriker Kokou Azamede im Interview berichtet.

Vor den morschen Resten der Landungsbrücke am Strand, über die einst Schienen zur Verladung der Bodenschätze direkt in die Bäuche der Ozeandampfer führten, schließt sich der Bogen zur Gegenwart. Cycy lässt, erschöpft von der ergiebigen Geisterjagd, ihre Tränen zurück ins Meer fließen. Und wenn das zappelnde Urviech FJS in einer finalen Séance – »nicht aufregen, sondern ignorieren« – auf Moskitogröße geschrumpft worden ist, scheint der Weg frei für die Suche nach einem neuen »Wir« und dem gemeinsamen Aufbruch in eine Zukunft, in der Zusammenhalt tatsächlich solidarisch gemeint sein könnte. ||

WIR SCHWARZEN MÜSSEN ZUSAMMENHALTEN – EINE ERWIDERUNG
Kammerspiele | online | 9., 10. April, 20 Uhr; 24., 25. April 19 Uhr

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