Visar Morinas Theater-Live-Film von Clemens J. Setz »Flüstern in stehenden Zügen« gerät leider aseptisch. Anne Fritsch hat sich die Stream-Produktion der Kammerspiele angesehen.

Münchner Kammerspiele: »Flüstern in stehenden Zügen«

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Bekim Latifi und Leoni Schulz sind Geschöpfe einer entfremdeten Welt © Katarina Sopčić

Theater in Zeiten von Corona, das ist: Theater auf dem Bildschirm. Immer ein Film auf die eine oder andere Art. Der Filmregisseur Visar Morina inszeniert nun das Stück »Flüstern in stehenden Zügen« von Clemens J. Setz an den Münchner Kammerspielen. Als »Theater-Live-Film«, wie es in der Ankündigung heißt. Und irgendwie steigt da die Erwartung, dass einen hier etwas ganz Besonderes erwartet, etwas anderes als die Livestreams, die man nun schon zur Genüge kennt. Das Stück ist eher inhaltsarm. Doch damit kommt es dem Leben in der Pandemie recht nah. Es geht um einen Mann, der einsam ist und alleine daheim. So weit, so aktuell. C. Riese, so heißt der Mann, ruft also in diversen Callcentern an. Nicht weil er Hilfe braucht oder Unterstützung bei einem technischen Problem, nein: Er will ins Gespräch kommen. Ist stolz darauf, an der Stimme und dem Akzent zu erkennen, woher jemand kommt. Verwickelt sein Gegenüber in Gespräche, fragt nach dem Namen und erzählt von Beobachtungen, um eine gemeinsame Basis zu schaffen, eine Vertrautheit herzustellen. Fragt sich und die anderen, warum wohl alle Menschen anfangen zu flüstern, wenn ein Zug auf offener Strecke stehen bleibt. Er findet es angenehm, »wenn sich etwas Menschliches ergibt«.

In den Werkraum der Kammerspiele, wo das Stück eines Tages auch vor einem Livepublikum zu sehen sein soll, hat Aleksandra Pavlović einen knallgelben Kubus gestellt, der mit seinen stoffbezogenen Wänden irgendwie den Charme einer Gummizelle verströmt. Von der Decke baumelt eine dreieckige Lampe, an der Bekim Latifi in einem roten Pyjama hängt und turnt, während er telefoniert. Patrick Orth, der für die Bildgestaltung verantwortlich zeichnet, wählt lange einen Zoom, eine Instagram-Optik. Erst später sieht man die Totale, den leeren Raum, in dem an der Seite eine Frau (Leoni Schulz) zwischen zwei Klarsichtfolien gezwängt zu schweben scheint wie ihr eigenes zweidimensionales Abbild auf einem Tablet. Irgendwann später wird sie heraus- und in eine Art Dialog mit C. treten.

Wie gesagt, das Stück ist nicht das Spannendste. Und die Umsetzung von Visar Morina ist zu artifiziell, zu gestylt, um wirkliches Interesse an diesem Menschen und seinen Neurosen aufzubringen. Hinter der Bezeichnung »Theater-Live-Film« verbirgt sich kein Film, sondern gefilmtes Theater. Der Abend unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den anderen Stream-Formaten, die im Moment auf den Homepages der Theater auftauchen. Aber die Inszenierung ist so starr und durchchoreografiert, dass sie vergessen lässt, was Theater selbst im Digitalen spannend machen kann: der Livemoment, das lebendige Spiel mit dem Publikum oder eben der Kamera. Ende Januar streamten die Kammerspiele live eine Probe von Nora Abdel-Maksouds »Jeeps«. Dieser Abend war unfertig, unperfekt, improvisiert noch und sehr lebendig. Man fühlte sich dabei und nah. Hier aber wirkt alles steril wie hinter einer antiviral beschichteten Plastikplane. ||

FLÜSTERN IN STEHENDEN ZÜGEN
Kammerspiele Werkraum | 24. März, 20 Uhr
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