Nora Schlocker inszeniert mit »Superspreader« einen neu aufgelegten Monolog von Albert Ostermaier für Zoom und lässt uns vom Virus selbst küssen.

»Superspreader«: Hauch mich nicht an!

superspreader

Florian Jahr spielt in einer Garderobe des Resi den »Superspreader« | © Residenztheater

Irre Zeiten! Man kann nicht nur, wie es einem die Kampagne der Bundesregierung unterjubeln will, durch Nichtstun zum Helden werden. Auch das Amoklaufen war nie zuvor so leicht. Das lernt man von Florian Jahr, der seinen über Zoom zugeschalteten Zuschauern zum Abschied einen Kuss gegen das Kameraauge haucht, bis das Glas vom infektiösen Aerosolnebel blind wird. Prima Methode – wenn man sich die Kamera wegdenkt. Und wenn Jahr wäre, was er vorgibt zu sein: Der »Superspreader« in Albert Ostermaiers gleichnamigem Monolog. »Wenn ich der Erste war, wirst du der Letzte sein«, raunt uns der Mann da zu, der gerade für die Dauer einer Stunde etwas zwischen Patient null, the virus himself und üblem Neurotiker gespielt hat.

Der Münchner Autor, dessen Texte sich in den letzten Jahren rar gemacht haben auf den Bühnen, knüpft mit seinem neuen Stück an den finsteren monologischen Furor seiner früheren an, und auch inhaltlich erinnert »Superspreader« sehr an Ostermaiers Börsenmakler-Monolog »Erreger« aus dem Jahr 2000. Marcel, wie sich der Protagonist von uns nennen lassen will, ohne dass in der Zweitaufführung eine wirkliche Interaktion zwischen ihm und dem Publikum zustande gekommen wäre, ist womöglich infiziert, sein Grundproblem aber liegt anderswo: Ich, ich, ich! Das Gros seiner Sätze beginnt so. »Ich habe gar nichts getan und alles verbrochen«, »ich bin der Durchbruch«, »ich bin deine Angst«, »… die Geißel der Menschheit«, aber auch »… ein notorischer Übertreiber« oder »… ein Spieler«. Und das alles, so will es Ostermaiers Küchenpsychologie, weil seine Kindheit verkorkst war.

Diese »Null«, wie Marcel sich selbst nennt, ist eine Chimäre, die wie das ungenannt bleibende Coronavirus in wechselnder Gestalt fremdeKörper und Gedanken unterwandern kann. So eine hirngespinstige Figur reizt Ostermaiers Assoziationslust, bringt aber auch krude Selbst- und Systemanalysen hervor. So spricht der »Superspreader« etwa davon, dass seine Eltern ihn nur »lieben« konnten, wenn er zwischen ihnen lag, und kombiniert sich vom »Sandwichkind« zum »Clubsandwich« voran. Als der skrupellose Unternehmensberater, der er außerdem auch sein will, kommt er vom Thema »Leerverkäufe« flugs zur LockdownLeere auf den Straßen und diversen »Lehren«. Sein finsteres Wesen ist und verkörpert immer mindestens zweierlei: Teufel und Teufelsaustreiber, die Seuche und ihre systemische Ursache – als die hier überdeutlich der Kapitalismus benannt wird.

Unter der Anstrengung, diesen Spagat zu halten, hört man den Text manchmal ächzen, und doch hat er eine unbestreitbare Wucht. Das Gewicht dieses Abends aber sollte man nicht überschätzen. Er ist ein Lockdown-Nebenprodukt, das die Regisseurin Nora Schlocker binnen einer knappen Woche auf die »Bühne« brachte, die hier eine Schauspielergarderobe des Resi ist. Die Woche hat gereicht, um Jahrs »Superspreader« diese flirrende, fiebrige Intensität zu verleihen, mit der er der einzigen Kamera zu Leibe rückt. Die schaut auf einen engen Raum, der eher nach einer Dutzendabsteige für Handlungsreisende niederen Adels aussieht, was nicht recht passen mag zu einem, der kranke globale Unternehmen von ihrem menschlichen »Ausschlag« befreit. Damit lassen Text wie Inszenierung bewusst vieles offen: Ist Marcel ein Hochstapler? Hat ihn in der Corona-Quarantäne der Koller gepackt? Oder haben sich seine Allmachtsfantasien nur vorübergehend auf sein Minderwertigkeitsgefühl gesetzt, das schon so manchen Amokläufer hervorgebracht hat? Neu ist, dass er als Waffe nur seinen Atem braucht, »die Rache«, wie Ostermaier schreibt, »aus seinem Rachen«. ||

SUPERSPREADER
Residenztheater | online | 16. Jan. | 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940

Unsere aktuelle Ausgabe:
Online-Kiosk

Das könnte Sie auch interessieren: