Siegfried Rössert war Bassist, Konzeptdenker und Sinnsucher der Münchner Musikszene. Ein Nachruf.
Siegfried Rössert: Der Spielmann
»Wir könnten auch zu dritt Blues spielen«, sagte der Schlagzeuger Patrick Schimanski einmal über sein Komponistenkollektiv 48nord. Ende der 1990er Jahre wurde es von Schimanskis Vorgänger, dem Schlagzeuger Werner Hofmeister, zusammen mit dem Gitarristen Ulrich Müller und dem Bassisten Siegfried Rössert gegründet. Und wahrscheinlich hätte der ohnehin von der Rockmusik kommende Rössert darin einen wirklich guten Bluesbassisten abgegeben. Einer, der versiert und zuverlässig zugleich die Rhythmussektion zu stützen gewusst hätte, derweil er zwischendurch sein Saitenspiel mit wunderbaren Akzenten in den Vordergrund gerückt hätte.
Doch 48nord spielen keinen Blues, sondern Geräusche. Oder besser: Geräuschkompositionen. Wobei der Begriff nicht annähernd das Klangbewusstsein beschreibt, das dieses Ensemble als Hörspiel ebenso auszuleben verstand wie als vermeintlich hintergründige Theatermusik. Ein Klangbewusstsein, das den Moment in unvergessene Konzerte zu verwandeln wusste und zugleich auch ein wenig ein Komponistenparadies für Experimente darstellte.
Siegfried Rössert war ein Multitalent. Der studierte Musikwissenschaftler und Ethnologe vermochte in der von ihm favorisierten Alten Musik ebenso Zeitgenössisches zu entdecken, wie er im Gegenzug in die Gegenwart das Historische implementierte. Da war es nur folgerichtig, wenn er mit seiner Rockband Engel Wider Willen etwa Monteverdi oder Henry Purcell in die Clubmusik der 1990er Jahre integrierte. Letztlich war es darum auch nicht nur Pragmatismus, wenn er viele verschiedene Kunstformen bediente und seine Musik also nicht nur konzertant einem Publikum servierte, sondern damit auch in Theater- , Fernseh- und Filmproduktionen zu hören war. Eher neugierig als übermütig, ließ er sich dabei auch auf Klangexperimente ein, deren Ausgang ungewiss war. Doch die Möglichkeit des Scheiterns gehörte für den Bassisten, Sänger und Elektroniker zum musikalischen Erfolg dazu, den er in verschiedenen Rockbands, Jazzformationen und Komponistenkollektiven zu fassen bekam.
In besonders magischen Auftritten wirkte das gar, als könne Sigi Rössert eine Schneeflocke fangen, zerlegen und als neu zusammengesetzten Kristall weitertreiben lassen. Der Münchner Saxofonist David Jäger, der mit Rössert zusammen beim experimentellen ICI Ensemble Munich spielte, erinnert sich lebhaft an gemeinsame Momente: »Sigi war für jeden Kram zu haben, das heißt, er war richtig neugierig auf alle möglichen musikalischen Herausforderungen.« Und der Posaunist Christofer Varner, der seinen Bass-Kollegen ebenfalls vom ICI Ensemble Munich kannte, denkt an die Zeit, wie sie zusammen in einer Kammerspieleproduktion die Musik des Komponisten Jörg Widmann spielen durften: »Das war wahrscheinlich die musiklastigste Produktion an den Kammerspielen. Und dann noch von Dieter Dorn inszeniert, der das Stück auch noch mit zum Residenztheater rübernahm«, sagt Varner über Dorns »Hekabe«-Inszenierung. Auch das ein Experiment, eine Herausforderung. Am 29. November 2020 starb Sigi Rössert im Alter von 65 Jahren, einer der Sinnsucher der Münchner Musikwelt. ||
SIEGFRIED RÖSSERT (1955-2020)
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