Auch in diesem Jahr haben wir wieder ein paar Buchtipps für Sie. Hier eine kleine Auswahl aus der neuen Ausgabe. Und immer daran denken: Viele Buchhandlungen können Sie auch online besuchen!

Untern Baum: Buchtipps zu Weihnachten (2)

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VERMÄCHTNIS

Nach der literarischen Sensation »Eine Frau flieht vor einer Nachricht« meldet sich der israelische Schriftsteller David Grossman nach zehn Jahren mit einem neuen Roman zurück. »Was Nina wusste« dreht sich um ein gut gehütetes Familiengeheimnis und um die Frage, ob das Erzählen die Geschichte ungeschehen machen kann oder nicht. Grossman zeigt einmal mehr, dass er zu Recht zu den vollendeten Romanciers unserer Gegenwart gezählt wird. Vielschichtig handelt »Was Nina wusste« vom Schicksal dreier Frauen aus drei unterschiedlichen Generationen. Am eindringlichsten von Großmutter Vera, die es aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Israel verschlug. Ihr geliebter Mann nahm sich unter Tito im Gefängnis das Leben, später landet sie selbst als Landesverräterin in einer Strafkolonie. Es sind Szenen, die man nicht wieder vergisst. Veras Tochter Nina wird die brutale Trennung von ihren Eltern nie verwinden. Um ihre unstete Existenz kreist später das Leben ihrer Tochter Gili. Als die junge Filmemacherin beschließt, über das Schicksal ihrer Familie einen Film zu drehen, werden die Verwundungen aller offenbar. Die Schilderungen Grossmans sind so präzise, dass sie sich nach der Lektüre anfühlen wie eigene Erinnerungen. Das Leid genauso wie das große Glück. ||
CHRIS SCHINKE

DAVID GROSSMAN: WAS NINA WUSSTE
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Hanser, 2020 | 352 Seiten | 25 Euro

 

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DER ALTE KONTINENT

»Es gibt kein Ziel ohne Klarheit darüber, von wo man aufgebrochen ist, und keine Zukunft ohne eine deutbare Version der Vergangenheit.« – In dem vom Ich-Erzähler nonchalant dahingesagten Satz steckt das ganze Programm dieses opulenten, ebenso klugen wie originellen Buches, das sich jeder Kurzbeschreibung entzieht. Tatsächlich erweist sich »Grand Hotel Europa« als weit mehr als der (autofiktionale) Roman, der er anfangs zu sein scheint: Der niederländische Schriftsteller Ilja Pfeijffer nistet sich in einem verlebten Grandhotel ein, um die gescheiterte Beziehung zu der italienischen Kunsthistorikern Clio aufzuarbeiten, mit der er zuletzt in Venedig gelebt hat. Die Rahmenhandlung dient als Sprungbrett für – alles. Pfeijffer sinniert über den Verfall Europas, Selbstverwirklichung und Ignoranz beim Reisen (was im aktuellen Stillstand noch drastischer wirkt), fliegt selbst auf Caravaggios Spuren nach Malta und wird mit globalen Fluchtbewegungen konfrontiert. Dass der Autor sein reichlich eitles Alter Ego mitunter recht ratlos durch die (eigene) Geschichte tapsen lässt, erhöht den Lesespaß ungemein. Und den Hörgenuss: Thomas Loibl verleiht dieser süffig-saftigen Geschichte einen grandiosen ironischen Ton. ||
TINA RAUSCH

ILJA LEONARD PFEIJFFER: GRAND HOTEL EUROPA
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
Piper, 2020 | 560 Seiten | 25 Euro || Hörbuch gelesen von Thomas Loibl | Osterwold 2020
3 mp3-CDs, 1146 Min. | 25 Euro

Weitere Buchtipps zu Weihnachten

 

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JEDER IRRSINN IST NUR DER ANFANG

In Schliersee gibt es jetzt eine Bürgerwehr. Die heißt nicht so, sie nennt sich »Sicherheitswacht« und passt auf, dass sich die Mitbürger und Mitbürgerinnen ordentlich benehmen. Liest man Laura Lichtblaus Debut »Schwarzpulver« mit der Neuigkeit aus Schliersee im Kopf, kann einem ganz anders werden: Alles ist steigerungsfähig! Jeder Irrsinn ist nur der Anfang eines noch größeren Wahns, und darauf sollte man gefasst sein, wenn man sich über heutige deutschsprachige Gesellschaften wundert. Der Leser findet sich wieder in einer großen Stadt, vielleicht Berlin, vielleicht Wien, in der der Kampf um Recht und Ordnung die Gendarmerie an ihre Grenzen bringt. Deshalb gibt es die Bürgerwehr, der sich Charlotte mehr oder weniger aus Langeweile anschließt: »Die Konditionen dieses Schießcamps überzeugen mich einfach, hatte sie Tante Liese und Onkel Gabriel erklärt, Es gibt zwanzig verschiedene Waffen zur Auswahl, die Proteinshakes sind auch inklusive«, aber nach ein paar Jahren stellt sie fest, dass sie für dieses bürgerschaftliche Engagement nicht geeignet ist. Dann begegnen sich ihr Sohn Charlie, Praktikant bei einer subversiven Musikproduktion, Burschi aus der tiefsten Provinz und die eigenwillige Johanna. Eigentlicher Mittelpunkt dieses Romans, der so bizarr, hochnotkomisch und boshaft daherkommt, dass man sich fragt, welche Ungeheuer im Kopf der 35-jährigen Autorin sonst noch so hausen, ist Charlotte, die mit gerafften Röcken über Bord geht. Laura Lichtblau verfeuert ihre Sätze nicht nur mit schwarzem Pulver. Diese eigenartige Prosa leuchtet wie ein giftiger Fisch in einem nachtblauen Aquarium. ||
CHRISTIANE PFAU

LAURA LICHTBLAU: SCHWARZPULVER
C.H. Beck, 2020 | 202 Seiten | 18,95 Euro

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