Im Auftrag von dasvinzenz transponiert Jochen Strodthoff den Hitchcock-Klassiker als »Unsere Fenster zum Hof (Remake, D 2020)« in reale Hinterhöfe.

Hitchcock-Neufassung im dasvinzenz: Pure Neugier

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Die Fenster zum Hof als einzige Verbindung zur Welt | © Michael Bischoff

Wenn das Haus schon zu normalen Zeiten mit 44 Zuschauern ausverkauft ist, ginge die zugelassene Besucherzahl unter Corona-Hygienebedingungen fast schon in den Promillebereich, zumal wenn eine enge Wendeltreppe als Zugangsnadelöhr unvermeidbar ist. Drinnen Spielen ist also zunächst einmal keine Option für dasvinzenz, Münchens winziges Kellertheater im Herzen Neuhausens. Warum also nicht die schon länger existierende Idee, sich in der Nachbarschaft nach praktikablen Spielorten umzusehen, endlich in die Tat umsetzen? Bei Streifzügen durch Neuhauser Hinterhöfe wurde man bald fündig, und der Blick auf die Klingelschilder führte nicht selten auch noch zu Bekannten, die einen ersten Kontakt zur Hausverwaltung herstellen konnten. Aus dem Anblick der Fenster im Hof entstand dabei die Idee, Alfred Hitchcocks Filmklassiker von 1954 unter dem Titel »Unsere Fenster zum Hof (Remake, D 2020)« als Vorlage für die Außenbespielung zu verwenden und daran gleich eine indirekte Bespiegelung der aktuellen Quarantäneerfahrungen anzuknüpfen.

»Wenn man drüber nachdenkt, ist das ja eine totale Corona-Situation«, stellt Regisseur Jochen Strodthoff, ehemals Hunger & Seide, selbst Filmschauspieler und seit einigen Jahren auch Filmdramaturg und Drehbuchentwickler, fest. »Jeff Jefferies sitzt da mit gebrochenem Bein in seinem Zimmer und ist seit Wochen gezwungen, bei den Nachbarn reinzuschauen. Interessant sind dabei gar nicht so sehr die Dialoge, sondern die filmischen Beschreibungen der kleinen Dramen, die hinter jedem Fenster stattfinden. Scheinbar ist es ein Krimi, aber eigentlich geht es überall um die Liebe.« Im Film ist der Fotoreporter Jefferies, gespielt von James Stewart, auch so etwas wie das Alter Ego des Regisseurs, der allerdings zunächst nicht agieren lässt, sondern erst durch pure Neugier und die zufällige Beobachtung seltsamer Machenschaften eines Mannes, dessen bettlägerige Ehefrau plötzlich verschwunden ist, zum Detektiv wird und durch seine engagierte Freundin Lisa (Grace Kelly) ins Geschehen eingreift.

Die Herausforderung des Projekts liegt vor allem darin, einen, wie Hitchcock selbst sagte, »vollkommen filmischen Film«, der den Blick des Helden durch das Objektiv seiner Kamera zu seinem Momentum werden lässt, in eine offene Theatersituation zu überführen und dabei auch noch die Hausbewohner*innen mit einzubinden. Wie das gehen soll, »da sind wir gerade dabei, das rauszufinden«, so Strodthoff. »Wir wollen den Film nicht spielen, sondern eher nacherzählen. Die Bewohner*innen müssen auch nicht agieren, sondern sind so etwas wie Stellvertreter*innen der Personen.« Vorstellen kann er sich ein Filmteam bei der Besichtigung eines Sets am Tag vor dem eigentlichen Dreh, das mit Komparsen schon mal die einzelnen Einstellungen durchspricht. Aber auch Auszüge aus Truffauts berühmtem Interview »Mr. Hitchcock, wie haben Sie das
gemacht?« sollen mit einfließen.

Die Schauspieler – Wowo Habdank, Thorsten Krohn, Georgia Stahl, Lucca Züchner und der Musiker Wolfi Schlick (Express Brass Band) – sind dabei abwechselnd James Stewart, Grace Kelly, Hitchcock oder Truffaut und immer auch sie selbst, denn auch wenn das Wort Corona nicht fallen wird, spielen die Erfahrungen der letzten Zeit natürlich für alle eine Rolle. Für die Dramaturgin Barbara Kastner geht es gleichzeitig um Ängste und Anonymität, die in der (An-)Klage der Hundebesitzerin angesichts ihres ermordeten vierbeinigen Lieblings gegen die teilnahmslosen Nachbarn gipfeln. Und im besten umgekehrten Fall könnte die gemeinsam erlebte Aufführung in ein Nachbarschaftsfest münden, bei dem sich manche Anwohner vielleicht zum ersten Mal richtig kennenlernen. Um diese unmittelbare Begegnung nicht zu wiederholen, sondern immer wieder neu anzustoßen, sollen die Vorstellungen jeweils einmalig in verschiedenen Höfen stattfinden, wobei die coronabedingt zugelassene Besucherzahl je nach den örtlichen Gegebenheiten variiert. Die Adressen für die ersten Spieltermine stehen fest, aber auch neue Gastgeber sind willkommen. Wer das Team vorzugsweise im September in den eigenen Hinterhof einladen möchte, kann sich unter info@dasvinzenz.de mit der Produktion in Verbindung setzen. ||

UNSERE FENSTER ZUM HOF (REMAKE, D 2020)
dasvinzenz | Elvirastr. 17 | 14., 15. Aug.
Spielorte- und zeiten
Tickets: info@dasvinzenz.de

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