Auf ins Volkstheater: Das versorgt in der Ferienzeit die Daheimbleibenden mit fünf coronatauglichen Inszenierungen im Großen Haus und im Garten.

Das Volkstheater lädt sich Sommergäste ein

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Regisseur Mr. Jay (Pascal Fligg, 2.v.l.) terrorisiert das Ensemble der »Goldberg-Variationen« | © Arno Declair

Sommerbühnen – das waren im 19. Jahrhundert die Schauspieltruppen, die in Kurorten ihre Zelte aufschlugen, um die Gäste während der Hochsaison zu unterhalten. In diesem Corona-Jahr nobilitiert der Volkstheater-Intendant Christian Stückl den Begriff, denn sein mutiges Konzept des Sommertheaters rettet Münchner Bühnenfans über die Ferien-Durststrecke, bis – hoffentlich – im Herbst auch die anderen Häuser wieder öffnen können. Stückl hat deshalb sein Ensemble vorzeitig in Urlaub geschickt (die Staatsoper hat’s ihm nachgemacht), um im August schon spielen zu können. Weil keine der Repertoire-Aufführungen coronatauglich umgearbeitet werden konnte, hat er fünf neue Stücke mit kleiner Besetzung gesucht, die seit Juni mit getrennten Teams geprobt werden und bis Mitte September zu sehen sein sollen. Zwei davon bei schönem Wetter im Garten.

Das Nachtkastl ist derzeit nicht bespielbar, da dürften höchstens sieben, acht Leute rein. Das sei ja mit den Schauspielern schon voll, scherzte Stückl bei der Spielplan-Pressekonferenz. Im großen Saal wurde jede zweite Sitzreihe ausgebaut, statt 700 Plätzen gibt es noch 300, davon dürfen höchstens 100 besetzt werden. Deshalb sind auch die Zuschauerzahlen im Garten beschränkt, damit eine Vorstellung bei Schlechtwetter nach drinnen umziehen kann. Die Preise wurden auf zwei Kategorien reduziert: 18 und 25 Euro, ermäßigt 8,50 Euro.

Den Start machte Stückl selbst mit »Die Goldberg-Variationen« von George Tabori (Kritik siehe unten). Die israelische Regisseurin Sapir Heller hat am Volkstheater bereits »Amsterdam« inszeniert, nun wagte sie sich am 29. Juli an »Das hässliche Universum« von Laura Naumann – eine Vision vom Weltuntergang mit einem Konzert aller Lieder, die man vorher noch einmal hören will. Ab 7. August spürt Mirjam Loibl mit Franz Kafkas Erzählung »Der Bau« einem Tier nach, das sich in seiner geschützten Abschottung durch einen unsichtbaren Eindringling bedroht fühlt. Am 14. August folgt im Garten »Indien« von Alfred Dorfer und Josef Hader, das als Film Kult wurde. Simon Solberg lässt einen der beiden Gaststätten-Hygieneinspektoren von einer Frau spielen – Carolin Hartmann streitet sich mit Jonathan Müller. Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca beendet die Sommersaison am 26. August mit »Probleme Probleme« nach einer Erzählung von Ingeborg Bachmann über eine Frau, die vor dem Leben in einen Schönheitssalon flüchtet. Alle Kritiken lesen Sie in unserer Oktober-Ausgabe.

Im Rahmenprogramm spielen bei schönem Wetter draußen Ami & Matthew (10. August) und Maxi Pongratz (11. August) Konzerte, am 8. und 9. August soll es einen Dämmerschoppen mit Livebands und Gastronomie geben. Bei jedem Wetter spielen Heinz-Josef Braun am 9. und 16. August (10.30 Uhr) für Kinder ihre frechen bayerischen Märchenversionen. Programmvorschauen kann Stückl bislang nur kurzfristig festklopfen, aber so viel steht fest: Im September soll das »Gehörlosen-Hörspiel« von Noam Brusilovsky herauskommen, das wegen Corona kurz vor der Premiere abgesagt werden musste. Und im Oktober präsentiert Felix Hafner seine Adaption des preisgekrönten Romans »Herkunft« von Saša Stanišić. Falls die Pandemie sich weiterhin moderat verhält. ||

REGISSEUR ALS WELTENSCHÖPFER – OH, MEIN GOTT!

Der Prospekt auf der Bretterbühne zeigt einen Stich mit Gott als Weltenschöpfer, wie ihn ein Künstler der Nazarener Schule sah. Dann tänzelt der herein, der sich in George Taboris sarkastischer Bibel- und Theatersatire »Die Goldberg-Variationen« für Gott hält: der eitle Regisseur Mr. Jay. Im Adidas-Trainingsanzug mit Sonnenbrille befiehlt Pascal Fligg »Es werde Licht«. Erst beim dritten Brüller reagiert der Beleuchter. Mr. Jay inszeniert das Alte Testament samt der Kreuzigung Jesu, sein Regieassistent Goldberg ist Sündenbock für alles, was nicht klappt. Und hier klappt gar nichts: Die Schauspieler streiken wegen Jays Tyrannei, die Diva Terese, einst Pornostar, will nicht nackt auftreten, alle streiten mit Jay, und der schikaniert Goldberg.

Nachdem die Passion in Oberammergau wegen Corona ausgefallen ist, inszenierte Volkstheater-Intendant Christian Stückl zur Eröffnung seines corona-tauglichen Sommerprogramms eine Passions-Parodie im Garten. Taboris Stück changiert zwischen BackstageComedy und Schöpfungsparabel, in Taboris Uraufführungs-Regie 1991 dauerte es über drei Stunden, im Volkstheater nun ein-dreiviertel. Stückl musste viel kürzen, weglassen, streichen. Statt der »Goldberg-Variationen« von Bach, gespielt von Glenn Gould, liefern hier Komponist Tom Wörndl und Schlagwerker Severin Rauch den Live-Sound. Trotz der Vereinfachung bleibt das Grundgerüst verständlich: Die Vermischung von Theaterprobe und Bibelshow als Welt- und Genesis-Metapher.

Zwischen Jay und Goldberg herrscht ein sadomasochistisches Herr-Knecht-Verhältnis. Das Komikerpaar, das auch drinsteckt, inszeniert Stückl kaum. Pascal Fligg trumpft stets arrogant auf, nur bei der Diva charmiert er unterwürfig. Mauricio Hölzemann hält seinen Goldberg in überzeugender Balance zwischen Opfer und Aufmüpfer, wagt am Ende sogar den Aufstand.

Nur Superstar Terese lässt Jay gnadenlos auflaufen: Luise Deborah Daberkow macht das (klischeegerecht kostümiert von Bühnenbildner Stefan Hageneier) mit großer Attitüde und trocken-frecher Schnauze. Die Schauspieler Raamah (Timocin Ziegler) und Masch (Cengiz Görür, den Stückl aus Oberammergau mitgebracht hat) kämpfen mit anderen Mitteln: Verweigerung, Nervenzusammenbruch. Aber spielen wollen sie doch alle. Ihre pantomimischen Proben-Simulationen sind von holzschnittartiger Stummfilm-Komik. Und Taboris doppelbödiger Witz und seine lakonische Ironie sind ein Hochgenuss. ||

GOLDBERG-VARIATIONEN
Volkstheater | 21., 23. Aug., | 20.30 Uhr
3., 4., 11., 12. Sept. | 20 Uhr | Tickets: 089 5234655

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