Der Verein Fokus Tanz lässt sich nicht unterkriegen. Das Think Big!-Festival, die explore dance-Netzwerktreffen und die Arbeit an Schulen finden statt, nur anders.
Fokus Tanz: Weitertanzen
Sechs Meter, das ist der Abstand, den Tänzer auf der Bühnederzeit voneinander halten sollen. Sechs Meter – damit geht nicht viel. Simone Schulte-Aladag klingt trotzdem frohgemut. Think Big!, das Tanz- und Performance-Festival für Kinder und Jugendliche, dessen siebte Ausgabe sie in den letzten beiden Jahren gemeinsam mit der Schauburg geplant hat, kommt nun ersatz- und auszugsweise in einem Film unter, der die Macher zu Wort kommen lässt und Ausschnitte aus den 15 internationalen Produktionen präsentiert, die aus bekannten Gründen nicht gezeigt werden können. »Auf dieser Grundlage«, sagt Schulte-Aladag, »können wir den Künstlern wenigstens etwas bezahlen, denn Ausfallhonorare sind nicht erlaubt, wenn keine entsprechende Leistung erbracht wurde.«
Der Film wird am 9. Juli im Außenbereich der Muffathalle gezeigt. Drinnen, in der Halle, deren Größe das Abstandhalten leicht machen sollte, wird davor ab 16 Uhr ein sogenanntes »Pop Up Showcase« von explore dance stattfinden, das zugleich als Fachtagung firmiert. Dafür wurden 15 Seiten Hygienevorschriften erstellt. Jeder Schritt jeder Person ist vorgeplant. Mit dabei: Das von Anna Konjetzky choreografierte Solo »Move more morph it!« für die wunderbare Sahra Huby und einen Tisch. Es sind die mobilen, kleinen sogenannten Pop-up-Formate, die als hygieneregelkompatibel übrig geblieben sind vom ursprünglich sieben Produktionen umfassenden Programm, das dem Think Big!-Festival vorgeschaltet gewesen wäre und auch die Bühnen-Stücke beinhaltet hätte, die im Laufe des Jahres in Potsdam, München und Hamburg unter dem Dach von »explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum« entstanden sind. Diese auf Austausch von Knowhow und künstlerischen Produktionen sowie der Gewinnung hochkarätiger Choreografen für die Jugend basierende Initiative ist eine feine Sache – und so vielversprechend aus den Startlöchern gekommen, dass sie 2019 den »Der Faust«-Perspektivpreis gewonnen hat. Wegen Corona hängt aber auch hier derzeit Vieles in der Luft. Choreografin May Zarhy etwa stammt aus Israel, eine ihrer Tänzerinnen aus Athen. Daher kam ihre Münchner Produktion »Libelle« über einen ersten Workshop nicht hinaus. Ähnlich ging es laut Schulte-Aladag Lee Méir und André Lewski in Potsdam. Und Sebastian Matthias’ inhaltlich eigentlich wunderbar in die Zeit passende Performance über Intimität gehorcht ebenso wenig den geltenden Abstandsregeln wie Ceren Orans neueste Produktion.
Weil die Münchner Choreografin obendrein gerade in San Francisco festsitzt und ihr Mittänzer Roni Sagi in Israel, kommt ihre Musikerin Gudrun Raber-Plaichinger in die Muffathalle, um zum Trailer von »Fliegende Wörter« über dessen Entstehungsprozess zu sprechen. Das renommierte Duo deufert&plischke feiert das München-Debüt des interaktiven, aber an die neue Situation angepassten Stücks »Spinnen« – und zwischen Vorstellungen und Vorträgen wird fleißig gelüftet. Wer dem nicht traut, kann das gesamte Programm auch im Stream verfolgten, ebenso wie die Diskusssion mit der Tanzjournalistin Elisabeth Nehring und einigen Szenevertretern über Theater im ländlichen Raum tags darauf im HochX. Und eine Woche später kann man bei einem Fach-Symposium zu »Methoden der Wahrnehmungsreflexion« in der Studiobühne der LMU einige Künstler kennenlernen, die man sonst bei Think Big! gesehen hätte. Ob Kabinet K, die niederländischen Musiktheatermacher hinter dem Projekt »Cellosturm« und Christine Devaney aus Schottland live oder per Zoom anwesend sein werden, ist in diesen konjunktivischen Zeiten jedoch schlecht vorherzusagen. Geplant, sofern das Wort noch erlaubt ist, ist die Verlegung des eigentlich biennalen Festivals ins kommende Jahr. Wenn neben der Stadt München, die laut Schulte-Aladag bereits ihre Sympathie bekundet hat, auch der Bund zusätzliche Gelder fließen lassen würden, könnte das nur bis Herbst 2021 finanzierte explore dance-Programm bis Juni 22 verlängert werden: »Die Zeit bräuchten wir, um alle liegengebliebenen Produktionen zu Ende bringen und die bestehenden coronatauglich umarbeiten zu können.« Und vielleicht geht es sogar auch nach Ablauf des dritten Jahres weiter mit dem Stadt-Land-Bund-Projekt.
Ein zweiter Antrag beim Tanzpakt, sagt Schulte-Aladag, würde den Schwerpunkt auf die Pop-up-Formate legen, mit denen man zu den Kindern gehen kann, und zwar zu allen. Denn zu den Kindern gehen, das ist für den hinter all diesen Unternehmungen stehenden Münchner Verein Fokus Tanz zentral. Zum Beispiel in die Schulen, in denen die Tanzvermittler – o Wunder – schon wieder ein Bein haben. »Wir haben die Schulleiter, mit denen wir kooperieren, schon früh angerufen. Viele waren zunächst reserviert und haben auf konkrete Ansagen zu Hygieneauflagen gewartet«, sagt Schulte-Aladag. Aber seit der letzten Maiwoche wird in einer Kita und drei Schulen wieder getanzt: in kleinen Gruppen von 6 bis 12 Kindern, draußen oder in Turnhallen. Und weil die Anleiterinnen gebeten wurden, die Kids nicht auszupowern, »wegen der Aerosole«, hat man sich Markierungen einfallen lassen, innerhalb derer sich die Kinder wenig schweißtreibend bewegen. Was interessiert beäugt wird von Sportlehrern, die ja im Moment auch nach gangbaren Wegen für ihren künftigen Unterricht suchen.
Dass bei all den Serviceangeboten – so hat der Verein die Schulen auch mit digitalen Übungspaketen für bewegte Pausen und Homeschooling versorgt – die Fokussierung auf Kunst und Kreativität etwas verwischt, ist auch Simone Schulte-Aladag klar. Aber man müsse jetzt und wohl auch weiterhin flexibel reagieren. Zu Gunsten der Kinder, die die Politik vergessen hat. Und damit »Zeichen setzen, dass Kunst lebendig ist und Menschen Interaktion brauchen«. Jetzt sogar mehr denn je! ||
EXPLORE DANCE POP UP FEATURE THINK BIG!
9./10. und 16./17. Juli | Aktuelle Informationen (Teilnahme vor Ort oder online nur mit Anmeldung) unter: www.thinkbigfestival.de
und www.explore-dance.de
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