»Die Schmalspur-Gigolos« kapieren im theater … und so fort sexistische Mechanismen – auf komödiantische Weise.

Die Schmalspur-Gigolos: Besenstil und Papierrosen

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Der Besenstiel als Versöhner (v.l. Benjamin Hirt, Heiko Dietz, Konrad Adams) | © Lisa Ferter

Heiko Dietz hat’s in den letzten Jahren schwer gebeutelt: Sein Kellertheater … und so fort in der Kurfürstenstraße wurde 2017 durch einen Wasserschaden unbespielbar. Dietz musste mit seiner privaten Schauspielschule THETA nach einem neuen Standort suchen. Er fand immer wieder Gastspielbühnen für seine Aufführungen. Und 2019 endlich ein neues festes Quartier: einen Pavillon in Sendling. Dort öffnete das theater … und so fort im November 2019 – und musste vier Monate später wegen Corona schließen. Jetzt wagte Dietz als erster der freien Theatermacher in München eine Premiere unter Corona-Bedingungen. Und hat einen guten Griff gemacht: Die Uraufführung von Frank Piotraschkes Komödie »Die Schmalspur-Gigolos« in der Regie von Petra Wintersteller macht viel Spaß. Vorläufig dürfen höchstens 35 Zuschauer rein, mit Maske.

Trostlos hängt der arbeitslose Thomas (Benjamin Hirt) jeden Abend in der alten Eckkneipe hinter seinem Bier, das ihm der knorrige, dauerschimpfende Wirt Kuddel (Konrad Adams) großzügig anschreibt – wie schon die 80 davor. Dann wirbelt der halbseidene, hyperaktive Stefan (Heiko Dietz) herein, mit einer rettenden Idee: Sein Kumpel Thomas soll Callboy werden. Mit Stefan als Agent, sprich Zuhälter. Er hat einen erfolgreichen Callboy als Coach dabei – Rico (Julian Brodacz) bringt dem Versager die Grundregeln des Gewerbes bei.

Vier Männer in einer Kneipe – ungewohnt für eine Boulevardkomödie. Doch Autor Frank Piotraschke schafft eine gute Typen-Mischung, schreibt witzig und pointiert. Er nutzt das Thema käuflicher Sex zur Reflexion über den Umgang von Männern mit Frauen und umgekehrt. Thomas hat Erfolg als Auftragslover. Aber bei der Feier seiner 100. Buchung beschwert er sich, wie ihn manche Kundinnen behandeln: in die Wange kneifen, auf den Po tatschen, in den Schritt greifen, dazu sexistische Sprüche. »Ich bin doch kein Objekt! Um das auszuhalten« … »muss man wohl eine Frau sein«, ergänzt Kuddel lakonisch.

Der alternde Wirt hat die witzigsten Pointen: Konrad Adams spielt ihn norddeutsch-trocken, erst als wütenden Grantler, der sich Gäste mit einem Besenstiel vom Leib hält. Als der zunächst unsympathisch arrogante Rico öfter auftaucht und zunehmend liebenswürdiger wird, blüht er leise und ganz differenziert auf. Wintersteller inszeniert sehr zart, wie beide bei Thomas’ Wutrede hinter dem Tresen gemeinsam stumm Papierservietten falten und Rico Kuddel eine rote Papierrose reicht. Liebe ohne Worte. Man sieht Kuddel schmelzen. Neben der Lovestory darf im Boulevard Klamotte nicht fehlen: Im Streit, wer wem sein Geld verdankt, reißen sich Stefan und Thomas die Anzüge vom Leib und flüchten in Unterhosen. Benjamin Hirt überzeugt mit Thomas’ Verwandlung vom Loser zum selbstbestimmten Mann, Heiko Dietz treibt den schmierigen Stefan mit seinem Dauerlachen gelegentlich in die Karikatur.

Regisseurin Wintersteller spielt geschickt und komödiantisch mit den Corona-Regeln: Jeder Akteur bedient hektisch den Desinfektionsspender am Kneipeneingang, Kuddel wischt Tresen und Spielautomaten nach jeder Berührung ab, und der Besenstiel taugt auch als Versöhnungsstifter zwischen ausgestreckten Händen. So gewinnt man der Krise Vergnügen ab. ||

DIE SCHMALSPUR-GIGOLOS
theater … und so fort | Hinterbärenbadstr. 2
(U6 Partnachplatz) | bis 18. Juli | Mi–Sa 20 Uhr
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