Viele Münchner Clubs sind am Ende, und das nicht erst seit Corona. Denn die Stadt der Anwohner und Spekulanten macht es dem Nachtleben schwer. Ein Rückblick von Dirk Wagner.

Clubs in München: Standort ohne Faktor

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Maria Stadnik und Tassilo Probst beim Stars and Rising Stars Festival im Harry Klein 2018 © Ralf Dombrowski

Jeder Club hat seinen eigenen Orbit. Wird er geschlossen, hat das Folgen weit über den Ort hinaus. Nicht selten erleben die mit Ruinen und Torsi Weiterlebenden dabei eine Unsicherheit infolge der Neuordnung ihrer Lebenswelt. Dann mag es ihnen umso mehr ein Trost sein, wenn sie sich wenigstens normalerweise auf den fortwährenden Bestand der sie stützenden Kultur verlassen dürfen. Dass diese allerdings in Wahrheit auch ohne panepidemische Erschütterungen gar nicht so dauerhaft ist, wird darum nur allzu gern verdrängt. Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Neuordnungen der Kulturgeschichte, mit denen Akteure des öffentlichen Lebens von Wissenschaft bis Politik gerne lange Zeit geltende Weltbilder ins Wanken bringen. Ein Blick etwa auf die vom Münchner Kult-DJ Florian Keller gestartete Stadtkarte genügt, auf der er mit Unterstützung entsprechender Rückmeldungen aus der Szene respektive aus den Szenen Münchens vergangene Kulturorte markiert, um festzustellen, wie viele der einstigen Musentempel nicht mehr existieren. Sei es, dass frühere Hotspots der hiesigen Popkultur wie die Negerhalle (ja, so wurden hier dereinst noch Läden genannt, ohne rot zu werden) oder die Alabamahalle irgendwelchen Bauvorhaben zum Opfer fielen, sei es, dass Hausbesitzer entschieden, etwa anstelle des legendären Atomic Cafés auf einen ruhigeren, wenngleich auch zahlungswilligeren Mieter zu setzen, oder sei es, dass die Szene selbst einfach nur weiterwanderte.

Die Vergangenheit der Münchner Clubs: Stars auf und vor der Bühne

Wer zum Beispiel heutzutage am Elisabethplatz im Kinder- und Jugendtheater Schauburg Inszenierungen genießt, die ihre Zielgruppe endlich auch als Theaterpublikum ernst nimmt, kommt angesichts der dortigen Theatereinrichtung wohl kaum auf die Idee, gerade im einst heißesten Nachtclub Europas zu sitzen. Blow Up hieß diese erste Großraumdiskothek Deutschlands, die im Übrigen in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Lichtspieltheaters beheimatet war. Von 1967 bis 1972 spielten dort legendäre Musiker wie Amon Düül II, Jimi Hendrix, Pink Floyd oder The Who. Und im Publikum flanierten Weltstars wie David Niven, der hier angeblich einem Auftritt der Kölner Band Can beigewohnt haben soll. Wo in den wilden Sechzigern zudem der nicht minder legendäre Kellerclub Big Apple Schwabing gerockt hatte, ist der Leopoldstraße heute gar nicht mehr anzusehen. Dabei spielten auch hier Größen wie die jungen Deep Purple. Und ein fälschlicherweise auf dem Plakat als »Jimmy« statt Jimi Hendrix angekündigter Gitarrist jammte hier mit dem Amon-Düül-Bassisten Lothar Meid, der später auch den berühmten Basslauf in Donna Summers »Love To Love You Baby« lieferte. Dass mittlerweile niemand diese Hochburgen einer Münchner Popkultur vermisst, hat auch damit zu tun, dass selbst die Clubszene einer gewissen Sterblichkeit bedarf, um mittels Veränderungen lebendig zu bleiben.

Clubs zwischen Lärmbegrenzung und Grundstücksspekulation

So gesehen hätte es also auch die Chance für einen Neubeginn sein können, als letztes Jahr in der Maxvorstadt der international gefeierte Technoclub MMA schloss, der dort seit 2014 in einem ehemaligen Heizkraftwerk als »Mixed Munich Arts« verschiedene auditive und visuelle Künste zu mischen verstand. Doch so leicht wie früher ist es mittlerweilenicht mehr, andernorts in München einen neuen Club zu eröffnen, sagt der inzwischen für die Grünen im Stadtrat sitzende Clubbetreiber David Süß. Dafür sorge zum einen eine zunehmende Raumverknappung in der Stadt, die ja immer dichter besiedelt würde. Vor allem aber seien es Grundstücksspekulanten, die längst nicht mehr mit Mieteinnahmen ihren Gewinn maximieren wollen. Vielmehr sind die Grundstücke selbst samt ihrer Wertsteigerungen das Objekt der Begierde, was letztlich schon in London dazu geführt habe, dass 40 Prozent der dortigen Livespielstätten nicht mehr existieren. Darum macht sich Süß auch nicht allzu viel Hoffnungen auf einen dauerhaften Fortbestand seines Clubs Harry Klein in der Innenstadt. In zwei Jahren läuft sein Mietvertrag aus, der einfach nicht verlängert würde, seit nunmehr neue Eigentümer für über 60 Millionen Euro den Gebäudekomplex gekauft haben, in welchem sich sein zur Lärmbegrenzung auf massiven Stahlfedern schwingender Club befindet.

Das eigentliche Problem sei laut Süß allerdings, dass eine solche Stadtentwicklung nicht nur alte Clubbetreiber verdrängt. Insofern diese sich über die Jahre einen Namen machen konnten, haben sie im Kampf um die verbleibenden Plätze eh noch die größeren Chancen. Dagegen würden junge Nachfolger immer seltener die Gelegenheit bekommen, in dieser Stadt etwas Eigenes aufzubauen. Was längerfristig auch zu einer Überalterung des hiesigen Kulturlebens führen kann, das dann irgendwann womöglich in seiner Gesamtheit in Rente geht. Statt in einem exzessiven Nachtleben wird man dann vielleicht am Sonntagnachmittag das Münchner Clubleben im Stadtmuseum beäugen dürfen: »Meine Damen und Herren, sehen Sie nun das Interieur des Atomic Cafés, eines Clubs, der einst Partys und Konzerte mischte, Stars aus aller Welt lockte und vor allem das Wohnzimmer von Musikern war, die hier selbst zahlreiche eigene Bands gründeten und entwickelten. Im nächsten Raum zeige ich Ihnen dann einen sogenannten Biergarten, wie man ihn früher häufiger in München fand.«

Clubs sind Teil der Lebensqualität

Um eine derartige kulturelle Verwaisung und Vergreisung der Stadt zu verhindern, müsse das Kulturleben auch in der Stadtplanung stärker berücksichtigt werden, fordert Süß. Das betrifft den Einbezug neuer Spielstätten bei einer Baugenehmigung ebenso wie den Schutz der bestehenden Kulturorte. Einen entsprechenden Handlungsbedarf hat auch die Voruntersuchung ergeben, die der Verband der Münchner Kulturveranstalter letztes Jahr mit Unterstützung der Berliner Non-Profit-Initiative Creative Footprint und der Münchner Fachstelle Pop durchgeführt hat. Mittlerweile wurde das Ergebnis dieser Voruntersuchung auch dem Kulturreferenten der Landeshauptstadt München vorgelegt. Denn darüber sind sich alle einig: Die Lebensqualität einer Stadt ist nicht allein von ihrem Wohnkomfort geprägt. Was zählt, ist die Vielfalt der sogenannten weichen Standortfaktoren. Da spielten schon vor der Pandemie Clubs eine zentrale Rolle und sie werden es, mit welcher Abstandsregelung auch immer, auch nach den Tagen der sozialen Distanz wieder tun. ||

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