Dem Bildhauer Stephan Balkenhol geht es nicht um Botschaften, sondern um »die Figur als solche«. Das zeigt die feine Ausstellung in der Galerie Rüdiger Schöttle.
Menschen und Mäuse
»Was steht ihr denn eigentlich da so rum?«, ist eine Frage, die nicht nur Jugendlichen allzu bekannt vorkommen sollte: Jeder hat sie schon einmal gehört. Sie ließe sich auch wunderbar den Figuren von Stephan Balkenhol stellen, deren einziger Daseinszweck das Rumstehen zu sein scheint. »Sie haben keine Botschaften zu verkünden und sollen nichts illustrieren«, sagt der Künstler über seine Holzfiguren, die übrigens entweder deutlich größer oder deutlich kleiner sind als reale Personen. »Die Figuren stehen einfach da, sie erzählen nichts. Ihre Erscheinung ist indifferent und offen. Es bleibt dem Betrachter überlassen, seine eigene Geschichte zu erfinden.« Oder sich mit den Skulpturen zu identifizieren.
Den Satz »So fühle ich mich auch manchmal« hört Stephan Balkenhol immer mal wieder. Vielleicht ist diese Chance, sich in den Männern und Frauen wiederzuerkennen, auch ein Grund für die große Beliebtheit des Künstlers. Kritik gab es schon mal in einer Zeit, in der man gerne eine Message von der Kunst erwartet. So schrieb ein Kritiker über Balkenhols Kunst: »Sie will einfach nur in Ruhe ein bisschen herumstehen und bedankt sich dafür, indem sie auch den Rest der Welt in Ruhe lässt.« Der Künstler selbst formulierte seine Arbeit einmal so: »schöne, stille, bewegte, viel- und nichtssagende Figuren«. Oder ein anderes Mal: »Dabei wollte ich Bildwerke schaffen, die sich, abgesehen von der Figuration, jeder Schublade entzogen: kein expliziter Rückgriff auf die Tradition, keine Botschaft jeglicher Art, keine starke Expressivität.«
»Es war verpönt, wenn man mal einen Kopf geknetet hat« – Stephan Balkenhol
Zur Kunst kam Stephan Balkenhol, 63, mit dreizehn, vierzehn Jahren, wie er erzählt. Er schaute seinem älteren Bruder, der Kunst studierte, über die Schulter. Sie lebten damals in Kassel, und als sein Bruder 1972 bei der documenta Kataloge verkaufte, schleuste er Stephan an der Kasse vorbei aufs Ausstellungs-Gelände, wo der ganze Nachmittage verbrachte. Die Kunst war einfach das, was ihn damals im Leben am meisten faszinierte. Das Kunststudium – bei Ulrich Rückriem in Hamburg – war dann die Konsequenz. Die Avantgarde hatte seinerzeit mit der Figur nichts am Hut, es »war verpönt, wenn man mal einenKopf geknetet hat«, wie sich Stephan Balkenhol erinnert. Heute ist er Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Ihm ist wichtig, dass seine Studenten ihren eigenen Weg finden und gehen. Er weiß, wovon er spricht, hatte selbst seinerzeit Schwierigkeiten, sich von Rückriems Einfluss zu lösen, agierte erst einmal »epigonenhaft«.
»Das Porträtieren fällt mir sehr schwer, da ich dabei als Künstler nicht mehr frei bin.« – Stephan Balkenhol
Als Künstler ist er seit langem ein Star. Seine Figuren sind in Ausstellungen und Museen weltweit präsent. Seine Bronzeskulpturen schmücken öffentliche Plätze, oft ungewöhnlich platziert wie in Münster oder London, was Passanten schon mehrfach zu Anrufen bei der Polizei veranlasste, weil sie die Skulpturen für reale Personen hielten und in Gefahr wähnten. Auch Tierskulpturen gehören längst zu seinem Repertoire, berühmt die Gruppe von 57 Pinguinen aus Wawaholz (im Frankfurter Museum Moderner Kunst), die er im Jahr 1991 in nur zehn Tagen fertigte. Neben Skulpturen schafft Balkenhol Reliefs, Zeichnungen, Lithographien, Holzschnitte und Siebdrucke. 60 bis 100 Skulpturen pro Jahr, meist aus Holz, verlassen sein Atelier, Kunstwerke aus einem Stück, Sockel inklusive; sechs Meter hoch war die größte bisher, mehr als 2000 waren es insgesamt. Zunächst einmal zeichnet Balkenhol seine Skulpturen auf ein Blatt Papier, durchaus mit Virtuosität. Eichen-, Zedern- und das weiche afrikanische Wawaholz sind seine Favoriten. Typisch für die Arbeitsweise ist dabei, dass die Oberfläche nicht geglättet wird, Späne, Risse, Astansätze, Maserungen bleiben deutlich sichtbar, das Werk wird bildhauerisch gewissermaßen im Rohzustand belassen und auch die Bemalung erfolgt eher zurückhaltend und übertüncht keineswegs den Arbeitsprozess mit Kettensäge, Klöpfel und Stechbeitel. Porträts sind da eher nicht Balkenhols Sache, auch wenn er schon einmal Modelle hatte. »Das Porträtieren fällt mir sehr schwer, da ich dabei als Künstler nicht mehr frei bin.« Eine gute Skulptur und Ähnlichkeit, findet er, passt nicht immer zusammen.
Ein perfektes Porträt sei nicht notwendigerweise auch Kunst. Ihm geht es mehr um »die Figur als solche«. Und dabei nicht um Selbstverwirklichung, sondern um die »Verwirklichung von etwas, was gemacht werden muss.« Oder, anders ausgedrückt, darum, die Wirkkraft, die man als Künstler habe, zu nutzen, um eine neue Realität zur bestehenden hinzuzufügen – und so vielleicht die Welt eine Skulptur weit zu verändern. Wer einen Blick auf eine kleine feine Auswahl von Balkenhols Arbeiten auf Papier und eben Figuren, »die in ihren eigenen Sphären schweben« – so die Galerie Rüdiger Schöttle – werfen will, der sollte sich ebendort die zwanzigste von Rüdiger Schöttle dem Künstler gewidmete Ausstellung ansehen. Da kann man sich dann einen Balkenhol kaufen – Preise zwischen 600 und 157.000 Euro – oder angesichts der Menschen, Mäuse und des Krokodils auch nur zum »passionierten Balkoholiker« werden. ||
STEPHAN BALKENHOL
Galerie Rüdiger Schöttle| Amalienstrasse 41
bis 28. März, Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 12–16 Uhr | Eintritt frei
Unsere komplette Ausgabe:
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