Das Architekturmuseum der TU zeigt das Œuvre von Balkrishna Doshi, einem Pionier der indischen Moderne sowie des sozialen und experimentellen Wohnungsbaus.

Blick vom Garten auf Doshis Bürogebäude: »Sangath Architect’s Studio«, Ahmedabad, 1980 | © Iwan Baan 2018

Im Eingangsbereich des Architekturmuseums wird man von einer dichten, bunten und lauten indischen Straßenszene empfangen, die als Endlossequenz auf einem großen Flachbildschirm läuft: Um die Atmosphäre des Landes zu transportieren, haben die Kuratoren extra eine Musik-, Ton- und Geräuschcollage entwickelt, die den Besucher begleitet. Den Auftakt zur eigentlichen Ausstellung machen das Diorama des Hauses Parikh (1962–65) – dort kann man auf zwei der originalen, von Balkrishna Doshi entworfenen Sofas Platz nehmen, im Ausstellungskatalog blättern und ins Wohnzimmer der Fototapete blicken – und der Nachbau des Eingangsbereichs seines eigenen, nach seiner Frau Kamala benannten Wohnhauses (1963, erweitert 1986).

Der 1927 in Pune geborene Balkrishna Doshi hat nach abgebrochenem Studium vier Jahre bei Le Corbusier in Paris gearbeitet, etwa am Justiz- und am Gouverneurspalast für Chandigarh, er war Projektpartner von Louis Kahn für das Indian Institute of Management (1962–77), und er machte sich mit 29 Jahren selbstständig – das Büro beschäftigt heute fünf Partner und 60 Angestellte. Im Alter von 35 gründete er mit der School of Architecture seine eigene Architekturschule, und er ist einer der wenigen Pioniere der Moderne auf dem Subkontinent. 2018 erhielt er als erster Inder den höchst renommierten Pritzker-Preis.

Auch in Indien begann man sich erst relativ spät für seine Arbeit zu interessieren: 2014 zeigte die National Gallery of Modern Art in Neu-Delhi eine von der Vastushilpa Foundation for Research and Studies in Environmental Design (VSF) kuratierte Retrospektive. Da war Balkrishna Doshi 87 Jahre. Mit »Architektur für den Menschen« ist sein Œuvre jetzt erstmals außerhalb Asiens zu sehen: Das Architekturmuseum der TU München zeigt die vom Vitra Design Museum in Kooperation mit der VSF und der Wüstenrot Stiftung weiterentwickelte Wanderausstellung bis zum 19. Januar 2020.

In den über 60 Jahren seines architektonischen Schaffens hat Balkrishna Doshi mehr als 100 Bauten realisiert, darunter Regierungs- und Verwaltungsgebäude ebenso wie Kultureinrichtungen, Siedlungen und private Wohnhäuser. International bekannt wurde er durch seine sozialen Wohnprojekte sowie durch sein großes Engagement im Bildungsbereich. Dementsprechend widmet sich der erste Schwerpunkt der Ausstellung den Themen Zuhause und Zugehörigkeit: Weil bezahlbarer Wohnraum in Indien seit Langem ein drängendes Problem ist, entwickelte Balkrishna Doshi bereits in den späten 1960er Jahren neue Konzepte des sozialen und experimentellen Wohnungsbaus, bei denen er die Bewohner mit einbindet. Zudem beschäftigte er sich intensiv mit traditionellen Siedlungsformen, um zu lernen, wie sich Infrastruktur erweitern und an zukünftiges Wachstum anpassen lässt.

Herausragendes Beispiel dafür ist die ab 1989 als Musterprojekt entstandene Sozialsiedlung »Aranya« in Indore, in der heute über 80 000 Menschen leben: Ausgehend von einer Parzelle mit Fundament, einem Sanitärblock und einem einzigen Raum konnten die Bewohner ihren Wohnraum dank eines Modulsystems nach ihren individuellen Bedürfnissen, persönlichen Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten schrittweise ausbauen und erweitern. In der Ausstellung ist diese Siedlung mit Fotos, Plänen, einem großen Holzmodell und einer Filmsequenz vertreten.

Straßenansicht von Balkrish na Doshis sozialer Wohnbausiedlung: »Aranya Low Cost Housing for Indore >Development Authority«, Indore 1989| © Vastushilpa Foundation, Ahmedabad

Der zweite Schwerpunkt von »Architektur für den Menschen« richtet den Blick auf Balkrishna Doshis Hochschulgebäude. Als Schlüsselbau dafür gilt der Campus des Center for Environmental Planning and Technology (CEPT), auf dem Doshi über einen Zeitraum von 50 Jahren nach der School of Architecture die School of Planning (1972), das Visual Arts Centre (1975–79), das Kanoria Centre for Arts (1984–2012) und die a(nthropo)morph geformten, teils unterirdischen Kuppelbauten des Kunstraums »Amdavad Ni Gula« (1994) errichtete. Balkrishna Doshi, der als Architekt wie als Dozent stets die Verantwortung der Disziplin für die Gesellschaft betont, hat mit seinen Gebäuden und seinem politischen wie pädagogischen Engagement die Ausbildung von Architekten in Indien grundlegend verändert: »Education ist to open doors … not one but many«, wie er es selbst einmal formulierte.

Die dritte Ausstellungsabteilung, »Die Gestaltung lebenswerter Städte«, stellt Doshis groß angelegte Stadtplanungsprojekte vor: Beispielhaft dafür steht die Entwicklung des Masterplans für Vidhyadhar Nagar (1984), einem 350 Hektar großen, neuen, energieeffizienten Vorort von Jaipur für 400 000 Einwohner, der traditionelle städtebauliche Prinzipien wie dichte Strukturen, fußläufige Entfernungen oder die multifunktionale Nutzung des Bodens aufgreift und an die Gegenwart anpasst.

Der vierte und letzte Bereich schließlich behandelt Doshis Verdienste um den Aufbau akademischer Institutionen, allen voran das Indian Institute for Management in Bangalore (1977, 1992). Auf dem ausgedehnten Campus erweitern begrünte Pergolen die Unterrichtsräume in die Gärten der Innenhöfe. Heimlicher Star der Ausstellung aber ist das begehbare perspektivische Modell von Balkrishna Doshis Architekturbüro »Sangath« (der Name bedeutet »begleiten, sich gemeinsam bewegen«) – einer Oase der Ruhe inmitten des Lärms und der täglichen Hektik von Ahmedabad.

Ausgehend von der Formensprache der Moderne hat Balkrishna Doshi ein ganz eigenes ästhetisches Vokabular entwickelt, das seine Architektur stets im Kontext von Kultur, Umwelt, Gesellschaft, Ethik und Religion verortet. Das machte ihn auch zu einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, lange bevor der Begriff Einzug in die Architektur hielt.||

BALKRISHNA DOSHI. ARCHITEKTUR FÜR DEN MENSCHEN
Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne| Barer Str. 40 | bis 19. Januar
Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Kuratorenführung mit Vera Simone Bader: 11. Dez., 15.30 Uhr
(gratis, Anmeldung 30 Min. zuvor an der Infotheke) || Vorträge im Ernst von Siemens-Auditorium: Anupama Kundoo über zeitgenössische Architektur im Kontext Indiens, 28. Nov., 18.30 Uhr; Marina Tabassum »Reflections on South Asian Architecture«, 9. Jan., 18.30 Uhr; »Nostalgia for the Future«, Film über die indische Architekturmoderne von Avijit Mukul Kishore und Rohan Shivkumar, 14. Jan., 18 Uhr | Der Katalog (Vitra Design Museum, 400 Seiten, circa 600 Abb.) kostet 59,90 Euro
weitere Veranstaltungen: Architekturmuseum, Pinakothek

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