Die compagnie nik macht engagiertes und ästhetisch anspruchsvolles Kindertheater in ganz Deutschland und Kulturpolitik in München.
Einar ist kurz wie ein Kinderarm und schaut unter verstrubbelten Haaren melancholisch in die Welt. Sein bester Freund ist Lärad, der ihm von der Flucht der Bäume von der Erde erzählt. Die Erwachsenen sorgen sich nur um Einars schwaches Herz. Doch schwach ist Einar ganz und gar nicht, obwohl seine Beine ein wenig wackeln, wenn er am Ende den Sack stemmt, der die Saat für die Rettung der Welt enthält.
Auf der Probe zwei Tage vor der Premiere von »Einar, der auszog, die Welt zu retten«, wackelt noch einiges mehr. Denn es ist viel auf der Bühne, was zusammenfinden muss: Einars multifunktionales Baumhaus, die Musik und die live produzierten Geräusche; der Ballon, auf dem der Schatten eines geflügelten Schweins Fahrrad fährt – und natürlich die Schauspieler Niels Klaunick und Lydia Starkulla, die auch die Einar Puppe führt.
Es ist das erste Mal, dass die compagnie nik mit Figuren und Schatten spielt. Die ungewöhnlich fantastische Geschichte hat danach verlangt, worin der starke Wille eines Kindes die Tore von Asgard aufstößt, der Welt hinter der Welt, in der Lärad nur ein anderer Name für die Weltesche Yggdrasil ist.
»Eigentlich hat Niels eine neue nordische Sage erfunden«, sagt der zweite »nik« Dominik Burki, der bei der Premiere erstmals im Zuschauerraum sitzt. »Ich habe das Stück geschrieben in völliger Unklarheit, ob so etwas überhaupt geht«, erklärt Niels Klaunick – »und alles hineingepackt, was ich mir gewünscht habe«: mythische Figuren, große Höhen, weite Wege. Im Probenprozess mit Regisseur Florian Hackspiel sei dann vieles wieder rausgefallen; und mit der Kostümbildnerin Katharina Schmidt hat Klaunick, der wie immer auch fürs Bühnenbild zuständig ist, die anfangs noch naturalistischeren Formen in abstrakte Farbflächen überführt. So bestehen etwa die Schnäbel der Raben Hugin und Munin aus kubistischen Splittern im Spektrum von Gelb bis Lila. Klaunick findet es spannend, Kinder so zu fordern und feixt: »Ich habe schon in mehreren Stücken moderne Kunstwerke versteckt.«
Der Gesamtapparat läuft bei der Premiere noch nicht hundertprozentig rund, aber »Einar« ist eine Wundertüte an Ideen und fein auf sie abgestimmten Mitteln und verspricht die compagnie nik noch einmal in eine andere Liga zu katapultieren. Und dabei spielt sie längst schon weit oben mit und sieht ihre Zuschauer nicht nur als »Objekte, die von Eltern bewegt werden« (Klaunick), sondern nimmt sie ernst – auch politisch. Der Hunger (»Friss oder stirb«), Geschlechterrollen (»König & König«) und die Menschenwürde (»1 vor dem anderen«) waren Themen der Vergangenheit. Hier ist es der Klimawandel – und die Idee dazu hatten die beiden lange vor Fridays for Future. »Es ist tatsächlich ein bisschen verrückt, weil wir auch schon ein Atomstück geplant hatten, das zwei Wochen nach dem Unglück von Fukushima Premiere gehabt hätte«, sagt Burki. Seherische Qualitäten weist sein Partner jedoch von sich: »Wir sind beide gesellschaftlich interessiert und beschäftigen uns lange mit der Realität, bis die Idee für ein Stück da ist.«
Die Stücke, die der Niedersachse und der Ex-Lehrer aus der Schweiz, die beide an der Neuen Münchner Schauspielschule studiert haben, seit 2007 produzieren, schweben gut ausbalanciert zwischen den Kindertheaterpolen Mutmachstück und ästhetisch avanciert. Am Theaterhof Prießenthal entstand ihre erste gemeinsame Arbeit »Stones«, in der vor allem der Moment fühlbar wird, wo das unbedachte Quatschmachen Halbwüchsiger in die juristische und emotionale Katastrophe kippt. Das spielten Klaunick und Burki schon so, wie es für sie typisch werden sollte: als komödiantisch grundiertes Schauspieltheater, das aus dem publikumszugewandten Da-Sein der von Körperlichkeit wie Temperament sehr unterschiedlichen Darsteller kommt.
Der Erfolg von »Stones«, das sie allein im ersten Jahr 68 Mal gespielt haben, hat die Suche nach einem Job für die beiden unerwartet schnell beendet. Denn: »Wir hatten ihn uns gerade geschaffen. Dass es mit einem Jugendstück war, war Zufall, aber vielleicht auch unser Glück«, so Klaunick. Und auch wenn die Zeiten vor allem für Jugendtheater (selbst mit pädagogischer Stoßrichtung) schwieriger geworden sind, ist die compagnie nik noch immer viel unterwegs. Mehrheitlich mit Stücken für Grund- und Vorschulkinder – die sie seit einiger Zeit in ihrem knallroten Feuerwehr-Spielmobil durchs Land transportiert. Erst am 14. Oktober hat sie dafür den Preis des Inthega-Vorstandes für »richtungsweisendes Kinder- und Jugendtheater in der Fläche« erhalten, wie vor ihr etwa das Berliner Theater Strahl. »Das ist eine Sensation für ein so kleines Theater wie uns«, strahlt Burki, der gerade von der Preisverleihung im Rahmen des Inthega-Theatermarktes kommt, auf dem der Tourneebetrieb seinen Bedarf deckt und damit etwa ebenso viele Zuschauer erreicht wie alle Stadt- und Staatstheater zusammen. »Stones« hat die compagnie nik allein in Wolfsburg für 5000 Kinder gespielt – und zeigt überhaupt keines ihrer Stücke seltener als 50 Mal. Nur der Start an ihrem Standort München war holprig – bis sie sich für die hiesige Szene starkmachte. Wobei es da eine klare Arbeitsteilung gibt: Burki legt den Fokus auf Tourneeplanung, Messebesuche und Produktion. »Dominik schafft das Brot ran«, sagt Klaunick, während er selbst Kulturpolitik macht. Er hat »offenbar genau zum richtigen Zeitpunkt gemeckert«, bis die compagnie nik 2015 für »Seraphin« als einziges Kindertheater aus dem Topf für Erwachsenenproduktionen gefördert und 2016 ein eigener Kinder- und Jugendtheatertopf aufgemacht wurde. Klaunick hat den Kindertheaterverband inklusive Gastspielring initiiert: das Fenster der professionellen freien Kindertheaterszene der Stadt, das den Gruppen mehr Auftritte ermöglicht und die Peripherie mit Kultur versorgt.
Es ist schon viel erreicht – und noch mehr zu tun. Vor allem was die Bezahlung betrifft. Für die compagnie nik persönlich steht als Nächstes der organisatorische Zusammenschluss mit zwei Gruppen an, mit denen sie sich ästhetisch verbunden fühlt: Mit dem Theater Kunstdünger und dem Duo Altenbach + Honsel bespielt sie im Dezember das HochX. Und ihr nächstes Stück wird von Flucht handeln: von den drei Minuten, die sich Familien und Freunde an der amerikanisch-mexikanischen Grenze treffen dürfen, bevor die Ewigkeit siewieder trennt. Ein leerer Raum, eine Uhr, die rückwärts läuft: ein echtes compagnie-nik-Setting! Ganz anders als Einars bunte Welt, aber erneut ein Spielplatz für ein brisantes Thema. ||
EINAR, DER AUSZOG, DIE WELT ZU RETTEN | SERAFIN UND SEINE WUNDERMASCHINE | STONES | 1 VOR DEM ANDEREN | KÖNIG & KÖNIG
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