Der Tänzer Léonard Engel erforscht als Choreograf die Magie der Wahrnehmung.

Leonard Engel| © Anne-Lena Michel

Von 2008 bis 2016 war Léonard Engel im Ensemble des Bayerischen Staatsballetts unter Ivan Liška, wo er vor allem in Stücken des 20. und 21. Jahrhunderts getanzt hat, etwa von Richard Siegal und Pina Bausch. Danach arbeitete er beim Tanztheater Wuppertal, in Siegals Ballet of Difference oder mit dem Regieduo Gintersdorfer/Klaßen. Beruflich und privat pendelt der Freelancer zwischen München und Berlin. Beim Skype-Gespräch hat Léonard Engel sechs Stunden Proben ohne Pause hinter sich, denn Laurent Chétouane kreiert in Berlin ein Solo für ihn zu Beethovens Streichquartett opus 131, das Ende November im HAU uraufgeführt wird. Im August kommt Engel nach München, um für sein eigenes Solo zu proben, das im September im Hoch X Premiere hat.

Wie werden sich die beiden Soli unterschei­den?
Es ist seltsam, wir haben völlig verschiedene Arbeitsweisen und doch, wie sich gezeigt hat, Themenfelder gemeinsam – und wenn wir über unsere Ziele in der gemeinsamen Arbeit sprechen, bemerke ich, dass das auch mein eigenes Solo betrifft – wenn auch mit anderem Zugang und anderen Lösungsansätzen.

In Ihrem ersten Stück »Miniature« standen Sie nackt neben einem Geiger auf der Bühne, minimalistisch tanzend, im zweiten, »Pavane«, haben Sie die Geometrie des Raums unter­sucht.
»Pavane« ist aus derselben Richtung der Recherche entstanden wie mein neues Solo »How to get rid of a body«, man könnte es als Skizze, als ersten Schritt bezeichnen, andersherum sind dort Fragen behandelt, die ich im neuen Stück nicht verfolgen konnte, sodass »Pavane«, aus der gemeinsamen Verbindung herausgelöst, als eigenes Stück früher fertiggestellt wurde.

Und wie wird man den Körper los? Mit Zau­berei?
Der Untertitel heißt ja »A magic manual«.In meinem Arbeitsstipendium habe ich mich mit Tarnung, Täuschung, Einschüchterung im Tierreich beschäftigt. Wobei sich Fragen nach vergleichbaren Strategien im menschlichen Verhalten anschließen lassen. Und eine zentrale Frage für mich ist, wie man mit dem Körper Wahrnehmung verändern kann. Es geht mir dabei nicht primär um erstaunliche visuelle Effekte des Verschwindens oder der Mimikry, die »Unsichtbarkeit« erfordert ein erhöhtes Bewußtsein für die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Um deinen Körper zum »Verschwinden« zu bringen, musst du ihn für dich selbst präsenter machen, ihn gleichsam zu seiner Essenz führen.

Tarnung und Enthüllung zugleich| © Dirk Rose

Das Werbefoto zeigt einen Mann im Moos, der gerade nicht völlig unsichtbar ist.
Genau, um mit Mimikry zu arbeiten, braucht es drei Elemente: einen Beobachter, einen Beobachteten und die Umgebung. Die Aufmerksamkeit wird abgelenkt, die Wahrnehmung wird umgelenkt oder verschwimmt. Entfällt diese Umgebung, wird der Trick offenbar, genau das will ich zeigen. Die Münchner Szenenbildnerin Theresa Scheitzenhammer, die auch das Kostüm entwirft, wird eine völlig künstliche Bühnensituation kreieren. Und die subtilen elektronischen Sounds, die Korhal Erel live produziert, lässt er nach etwas anderem klingen. Es geht eben nicht um die Erzeugung einer Illusion, sondern darum, wie sie hergestellt oder gebrochen werden kann. Darauf bezieht sich das »magisch« im Untertitel: auf die verschiedenen Zustände des Körpers auf der Bühne, weniger um eine technologische Magie, wie sie etwa die Camouflage im Militärischen realisiert, oder um die Tricks einer Zauber-Show.

An der Magie interessiert mich natürlich auch der Gestaltwandel in Mythologie und Fantastik. Das Stück ist insgesamt eine Art Labor der Sehweisen und Sichtbarkeit. Also ist der Körper selbst die Landschaft, die Bühne?
Ich habe 20 Jahre meines Lebens Ballett getanzt, aber da, so könnte man sagen, sieht man den Körper auf der Bühne gar nicht; man sieht Linien, die Bewegungen, Schönheit und Grazie, Formationen. Das war der eigentliche Startpunkt für mein Projekt, schon bevor ich den Stipendiumsantrag schrieb: Ich kannte – in diesem Sinne – meinen Körper nicht mehr. Ich wusste mich zu bewegen, aber seit ich nicht mehr klassisch tanze, musste ich meinen materialen Körper erst neu entdecken, lernen, mit meinem »Leib« in Berührung zu kommen. Und nach vielen Jahren auf der großen Bühne arbeite ich nun – minimalistisch – auf meine Weise daran, das Auge des Publikums für die kleinsten Details zu interessieren. Magie heißt auch, dass kleine Dinge andere, wunderbare Welten entfalten können. ||

LÉONARD ENGEL: HOW TO GET RID OF A BODY. A MAGIC MANUAL
HochX| Entenbachstr. 37
20.–22. September | 20 Uhr
Tickets

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