Christiane Mudra ist mit Sicherheit die politischste Theatermacherin in Münchens freier Szene. Seit 2013 beschäftigt sie sich in ihrem investigativen Theater mit dem Thema Rechtsterrorismus in Deutschland. Petra Hallmayer sprach mit der Regisseurin über den Abschluss ihrer Trilogie über rechte Kontinuitäten, in der sie die Nachkriegskarrieren von NS-Juristen beleuchtet.

Melda Hazirci, Murali Perumal, Ursula Berlinghof, Sebastian Gerasch und Stefan Lehnen (v. l.) zeigen, wie fürchterliche Richter nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Justiz beherrschten | © Franz Kimmel

Die Juristen haben sich sehr viel Zeit gelassen mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte. Erst 2012
berief das Bundesjustizministerium eine Kommission, um den Einfluss von NS-Juristen in der BRD zu untersuchen. Waren deren Ergebnisse eine wichtige Quelle für Sie?

Natürlich habe ich die Akte Rosenburg, die wirklich erschütternd ist, gelesen und mich auch mit Mitarbeitern aus dem Justizministerium getroffen. Ich habe ein Jahr lang intensiv recherchiert. Ich recherchiere immer sehr gründlich, aber diesmal ist das richtig explodiert. Ich war überwältigt von den Massen an belasteten Juristen. Was mich besonders schockiert hat und was ich auch zeigen möchte, ist, wie man aus Mördern nachträglich schuldlose Gehilfen gemacht hat, wie NS-Verbrechen in der BRD juristisch gerechtfertigt wurden.

Die Witwe des fanatischen Nationalsozialisten und berüchtigten Richters Roland Freisler erhielt bis 1997 neben einer Kriegsopferfürsorgerente einen Berufsschadensausgleich. Man erklärte, Richter hätten nach damals gültigem Recht gehandelt.
Viele Richter haben sich – wie die SS-Männer in den KZs – darauf berufen, dass sie unter Druck standen, gar nicht anders handeln konnten. Das ist faktisch eine Lüge. Jeder konnte sagen, ich möchte diesen Prozess nicht führen. Denen, die das taten, ist nichts passiert. Sie wurden einfach versetzt. Und für unzählige Todesurteile gab es keinerlei gesetzlichen Zwang. Oft sah das Gesetz gar keine Todesstrafe vor, dennoch haben die Staatsanwälte sie gefordert und die Richter sie verhängt.

Viele dieser Richter stiegen in der BRD in hohe Positionen auf. Eduard Dreher, der einen Gärtner wegen unbefugter Benutzung eines Fahrrads und Diebstahl von Lebensmitteln zum Tode verurteilt hatte, machte Karriere im Justizministerium.
Und setzte sich dort bekanntlich für die Verjährung von NS-Verbrechen ein. Die Liste an gruseligen Geschichten ist endlos. Je länger man sich damit befasst, desto fassungsloser wird man. Im Nachhinein bin ich auch entsetzt über meinen eigenen Schulunterricht. Uns wurde beigebracht, nach dem Ende des Nationalsozialismus kam das Grundgesetz, und seither sind wir eine vorbildliche Demokratie. Ich wusste, dass das so nicht ganz stimmt, aber ich habe erst jetzt begriffen, wie überwältigend hoch der Prozentsatz der Nazis unter den Juristen war.

Als Rechtfertigung heißt es gern, es habe damals ja keine unbelasteten Juristen gegeben. Was würden Sie darauf entgegnen?
Das ist eine billige Entschuldigung. Sicherlich waren nur wenige unbelastet, aber es gibt ja Abstufungen der Belastung. Die Richter, die reihenweise unverhältnismäßige Todesurteile gefällt haben, hätte man auf keinen Fall wieder in den Staatsdienst hieven dürfen. Interessanterweise haben genau diese Leute Karriere gemacht und sind in hohe Ämter aufgestiegen. Da haben sich die alten Eliten wechselseitig wieder installiert. 500 Richter und Staatsanwälte vom Volksgerichtshof wurden wieder eingestellt. Das hatte natürlich Folgen für die Rechtsprechung, den juristischen Umgang mit NS-Tätern, Opfern und Widerstandskämpfern, die um ihre Renten kämpfen mussten und keine Entschädigung erhielten.

Wie lässt sich das alles in ein Theaterstück packen?
Ich nenne meine Arbeit Investigative Theatre, um sie vom klassischen Dokumentartheater abzugrenzen. Das Stück besteht fast nur aus Zitaten aus Originaldokumenten, von Sachverständigen und Zeitzeugen. Die Schauspieler verkörpern typenhafte Figuren, durch die viele O-Töne fließen. So werden die oft sperrigen Texte fassbarer, rücken einem menschlich näher. Wir zeigen Spielszenen im Stadtraum, exemplarische Karrieren von Juristen wie Eduard Dreher oder Theodor Maunz, dem Verfasser des bedeutendsten Kommentars zum Grundgesetz, und Videoausschnitte aus Zeitzeugen-Interviews, die ich gemacht habe, mit den Staatsanwälten im Eichmann-Prozess und im ersten Auschwitz-Prozess, mit Verfolgten und Nachkommen der Weißen Rose. Begleitend gibt es eine Handy-App, die auch ein interaktives Element umfasst, auf der den Zuschauern etwa Fragen gestellt werden.

Der Auftakt Ihrer Trilogie, das NSU-Projekt »Wir waren nie weg«, war ein Western, der zweite Teil »Off the record« ein Hörspielkrimi. Diesmal benutzen Sie Science-Fiction-Motive. Wie wird das aussehen?
Visuell orientiert sich »Kein Kläger« ein bisschen an der Serie »Raumpatrouille«, als deren Drehort ja auch der Königsplatz diente. Wir zitieren Sci-Fi-Motive aus der Nachkriegszeit. Für mich ist das ein Verweis auf den damaligen Zeitgeist, den Wirtschaftswunder- und Fortschrittsglauben einer Gesellschaft, die nur nach vorn blicken und partout nicht zurückschauen wollte. »Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen!«, erklärte Strauß 1969. Die Schlussstrichdebatte, die bis heute nicht verstummt ist, ist ein wichtiges Thema in der Performance. Wir nehmen die Zuschauer mit auf eine Zeitreise aus der Gegenwart in die Vergangenheit.

Ausgangspunkt ist das Olympiaeinkaufszentrum, Ort des rechtsextremen Attentats 2016. Wollen Sie da durchgängige Kontinuitäten vom Nachkriegsdeutschland bis heute herstellen?
Ich habe den OEZ-Prozess besucht und war entsetzt. Dass das Attentat entgegen aller glasklaren Beweise als die Tat eines Einzelnen und nicht politisch motiviert eingestuft wurde, ist ein Skandal. Natürlich darf man das nicht gleichsetzen mit dem, was im Nachkriegsdeutschland geschehen ist. Aber es gibt Traditionslinien, Muster, wie man in Deutschland mit rechter Gewalt umgeht. Das haben die NSU-Morde und der OEZ-Prozess klar gezeigt, und das muss sich endlich ändern. Sie zeigen, heißt es in der Vorankündigung, auch Beispiele »gelungener Aufarbeitung«.

Welche sind dies?
Das war meine ursprüngliche Absicht. Aber außer dem Eichmann-Prozess in Jerusalem und mit Einschränkungen dem ersten Auschwitz-Prozess, der durch Aufdeckung der Vergangenheit des Richters Hans Hofmeyer inzwischen ja auch belastet ist, habe ich keine Beispiele gefunden. Tatsächlich war dies die bitterste Recherche meines Lebens. ||

KEIN KLÄGER
Stadtraum| Haltestelle Riesstr./OEZ |11.–14., 17.–19., 21. Juli | 19.30 Uhr | Tickets

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