Als Übersetzer wurde er geehrt, als Schriftsteller zu wenig beachtet. Höchste Zeit, dass wir Herbert Schlüter in unserer Reihe »Münchner Autoren« ehren.

Langnäsig elegant: Herbert Schlüter © Quelle: Lilienfeld Verlag

Zur Jahrtausendwende hat Herbert Schlüter im hohen Alter von 94 Jahren den ersten Übersetzerpreis der Stadt München erhalten. Damit würdigte man seine jahrzehntelangen Verdienste als Übersetzer von Aldous Huxley, Romain Gary, Fruttero & Lucentini und vor allem von Giorgio Bassani. Dem gebürtigen Berliner Schlüter, der seit der Nachkriegszeit in München lebte, ist es zu verdanken, dass das Gesamtwerk des italienischen Autors auf Deutsch verfügbar wurde, allen voran das Meisterwerk »Die Gärten der Finzi-Contini«. Ein Jahr später folgte das Bundesverdienstkreuz. Am 15. Februar 2004 endete sein bewegtes Leben, das ganz im Zeichen der Literatur stand.

Was die wenigsten wissen: Schlüter betrachtete seine Übersetzertätigkeit als »Ersatzhandlung für etwas, was man eigentlich nicht mehr kann«. Schlüter, und das kann man durchaus tragisch nennen, war nämlich in erster Linie Schriftsteller. Ein Schriftsteller ganz eigener Art und Sprachbegabung, ehe die Zeitläufte ihn mit Ausnahme einiger Erzählungen verstummen und auf das weite Feld der Übersetzung ausweichen ließen. Klaus und Erika Mann charakterisierten ihren engen Freund in »Escape to Life« folgendermaßen: »… unser sensitiv-müder Herbert mit der aristokratischen langnäsigen Greco-Physiognomie und dem verhangenen Blick unter zu schweren Lidern.« Überträgt man diese Beschreibung auf die literarischen Arbeiten Schlüters bis 1933/34, dann trifft man bereits ihren Kern. Schlüter schildert in einer traumwandlerisch-schwebenden Prosa, die urplötzlich ihre Tonlage ändern und messerscharf sezierend werden kann, vor allem das Scheitern der Liebe.

Sehr häufig begegnen sich bei ihm Menschen nach Jahren wieder, die sich einst innig liebten. Oder zumindest zu lieben meinten, so genau kann man das bei diesem Autor nie sagen. Nur um sich dann einzugestehen, dass die Gefühle füreinander nicht wieder aufflammen werden. So ergeht es Anita und Albert in der Erzählung »Ein Gartenfest« von 1930. Dasselbe Schicksal teilen Blanche und der Erzähler in der drei Jahre später entstandenen Prosaminiatur »Regen in Paris«. Sie endet ganz kühl: »Sie zog mich ans offene Fenster. Die Sonne brach durch, und der Wind vertrieb die Wolken. ›Es regnet nicht mehr‹, sagte Blanche, ›unsere Zeit ist vorbei.‹ Sie sagte es einfach, und es erschien mir schrecklich und weise.« Schließlich gibt es auch Paare, die sich gegenseitig bis aufs Äußerste quälen. In »Cullera« von 1934 verwandelt sich die Liebe zwischen einem Grafen und einer Gräfin in tödliche Obsession. Eine besessen Liebende ist auch Victoria in dem 1933 geschriebenen, aber erst nach dem Krieg veröffentlichten und damit bereits aus der Zeit gefallenen Roman »Nach fünf Jahren« (das kleine Buch ist heute in schöner Aufmachung im Lilienfeld Verlag erhältlich). Obwohl ihre Liebe zu dem Schriftsteller Anton Mühsal unerwidert bleibt, hält die Dreißigjährige wider besseres Wissen an ihr fest: »Doch bevor sie endgültig, physisch an ihrer Liebe starb, musste sie noch einen weiten Umweg machen.«

Fetisch Liebe: Schlüter ist unerbittlich in der psychologischen Durchdringung seiner Figuren, und eben mit dieser Gestaltung menschlicher Seelenzustände zeitlos aktuell. Kein Zufall ist es daher, dass der Ich-Erzähler in »Nach fünf Jahren« Freudleser ist. Zusätzlich wird darin noch auf subtile Weise eine inzestuöse Liebe verhandelt. Bei diesen Themen nimmt es kein Wunder, dass der S. Fischer Verlag in vorauseilendem Gehorsam den Roman 1933 als nicht mehr zeitgemäß einstufte und sich gegen eine Veröffentlichung entschied. Schlüter selbst hat sich gleich nach der Machtergreifung der Nazis für das Exil entschieden. Dem Publizisten und Klaus-Mann-Experten Klaus Täubert erklärte er den folgenschweren Schritt später einmal so: »Konnte man freiwillig noch in Deutschland bleiben, wenn man sah, was geschah?«

Es folgten Jahre voller Armut und Einsamkeit mit Stationen auf Mallorca, in Dubrovnik und auf Ischia. Der von Täubert ans Tageslicht geholte Briefwechsel zwischen Klaus Mann und Schlüter aus den Jahren 1933 bis 1949, nachzulesen in der Zeitschrift »Sinn und Form«, erzählt beklemmend von jener Zeit, etwa wenn Schlüter im Frühjahr 1940 wissen lässt: »Ich war so verzweifelt wie noch nie, und, obwohl durch dein Telegramm sehr ermutigt, bin es im Grunde auch weiterhin.« Ab 1941 wohnte er dann in Florenz, wo man ihn – er war immer noch deutscher Staatsbürger – doch noch zur Wehrmacht einzog. Im Mai 1945 geriet er schließlich in Gefangenschaft.

Herbert Schlüter und Klaus Mann sind Jahrgangsgenossen. Beide wurden 1906 geboren, beide besaßen keinen Schulabschluss. Kennengelernt ha ben sich dieVerwandten im Geiste zwanzig Jahre später in Berlin. Mann sah das Talent in dem feinnervigen Freund, förderte ihn gemeinsam mit seinem berühmten Vater. So konnte 1927 bei S. Fischer der Novellenband »Das späte Fest« erscheinen, im gleichen Jahr fanden noch acht seiner Gedichte Eingang in die von Willi R. Fehse und Klaus Mann herausgegebene »Anthologie jüngster Lyrik«. Mann schrieb hierzu auch das Nachwort, in dem es heißt: »Glauben wir uns über die Richtung auch noch im Unklaren zu sein – verbindend ist auch die Richtungslosigkeit, wir sind eine Generation, und sei es, dass uns nur unsere Verwirrtheit vereine.« Nur wenige Jahre später wird die beiden noch viel mehr vereinen als nur ihre Verwirrtheit. Und seit 2006 wird neben den Nachlässen von Klaus und Erika Mann auch der von Herbert Schlüter im Literaturarchiv der Monacensia betreut.

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