Exklusiv online: Sabine Leucht war beim Auftakt von DANCE 2019

Aus William Forsythes »A Quiet Evening of Dance« © Bill Cooper

Bunt ging sie los, die 16. Ausgabe der Münchner Tanzbiennale DANCE. Smarties-bunt leuchten in William Forsythes am Londoner Sadler´s Wells Theatre entstandenen »A Quiet Evening of Dance« die überlangen Handschuhe und die obligatorischen Socken, unter denen diesmal Turnschuhe stecken. Der Meister der Bewegungsbefragung lässt sieben Tänzer solo und in Miniformationen auflaufen. Sie spielen in Pas de Deux´ mit dem klassischen Vokabular und verabreden sich zu lustvoll-pedantischen Zerlegungs-Etüden, bei denen der Fokus auf einzelnen Körperteilen liegt. Los geht´s mit der Segmentierung der Arme, die eine Vielzahl an Klapp- und Rotationsmechanismen zu futuristischen Lebewesen zu transformieren scheinen. Forsythes Tanzkonzentrat ist von einer Verspieltheit, die über sich selbst staunt – und immer begleitet von einem leichten, unsichtbaren Augenzwinkern. Das spürt man auch in den tänzerischen Zwiegesprächen der Forsythe-Tänzer mit dem Breakdancer Rauf »Rubber Legz« Yasit, in denen die jeweils »typischen« Bewegungen des einen in den Augen des Anderen kurz zu Kunststückchen werden, bis man sich einander annähert, das fremde Vokabular erlernt, die andere Sprache austestet: Achtungsvoll und zart.

Dem fiktiven Besucher, der über zeitgenössischen Tanz gar nichts wüsste, könnte dieser Eröffnungsabend ideal zeigen, wie viel das Individuum in ihm zählt. Und zwar nicht nur solch große Tänzerpersönlichkeiten wie die langjährigen Forsythe-Mitstreiter Christopher Roman oder Ander Zabala. Auch das »Minute Made« nach dem Schnell-Kochrezept des Gärtnerplatztheaters erlaubt einen eingehenden Blick auf die Typen in dessen Ensemble. Kat Válastur, Daina Ashbee und Eisa Jocson haben je einen Teil des Abends choreografiert, der von Siegerposen in Zeitlupe und endlos variierten Familienaufstellungen in barocken Kostümen bis hin zu blökenden, keckernden, schnalzenden Tier-Rudeln… – nun ja: »voranschreitet«. Generell ist es immer wieder erfrischend zu sehen, welche Kraft dieses Format in so kurzer Zeit (jede Choreografin hat nur fünf Tage zur Verfügung) entfesseln kann, doch in diesem Fall verderben viele Köche den Brei. So direkt nach Forsythes reinem Tanz wirkt dieses angestrengt Figurative wie eine Handschriftenprobe mit kurzer Halbwertszeit.

Aber auch das Qualitätsgefälle gehört zur Buntheit von DANCE 2019 dazu. Was leider auch Jasmine Eliis´ »Toni is lonely«, die nach »Minute Made« zweiten Uraufführung des Festivals, die sich zwischen vier KontrabassistInnen, vier TänzerInnen und einem Schauspieler verliert. Alle verstehen ihr Handwerk, doch anders als bei Ellis´ »Empathy« wirkt die Vernetzung von fantastischer Musik, verstiegenen Texten und solipsistischen Bewegungen forciert und gewollt, die choreografischen Strukturen wirken zunehmend zerfahren. Dass der Abend die Einsamkeit zum Gegenstand hat, kann dafür nicht als Ausrede dienen.

Das sind dann eben die Risiken einer Festivaldramaturgie, die mehr denn je bei DANCE auf Münchner Künstler und Uraufführungen setzt. Dann doch lieber gleich in den Stadtraum gehen, wo noch bis 26. Mai die erlebenswerte DANCE History (Rad)Tour die Schönheit dieser Stadt und den Reichtum der Münchner Tanzfrühgeschichte gleichermaßen erfahrbar macht (wobei man nicht sagen kann, welcher Teil welchen als Köder benutzt) und Ceren Orans »Who is Frau Troffea?« eine Raum- und Zeiterfahrung besonderer Art bereithält. Am Samstag startete der täglich den Standort wechselnde Tanzmarathon zwischen regulären Marktbuden und Flohmarktverkäufern am Wiener Platz als ein Stück Mittelalter im Hier-und-Jetzt. Das Empfinden der Ungleichzeitigkeit geht jedoch tiefer: Haben Orans Tänzer ihre innere Uhr auf die täglich zu absolvierenden sieben Stunden gestellt, ist der Zuschauer in der Regel nur Passant. Doch längeres Ausharren ist nötig, um über die Befremdung hinwegzukommen, die die je nach Uhrzeit individuell zuckenden, gemeinsam fließenden oder repetitiven Bewegungen auslösen. Denn in der Ungeschütztheit des öffentlichen Raumes wirken sie zunächst fast krampfhaft behauptet, wirkt der Tanz selbst anachronistisch. ||

DANCE 2019
Verschiedene Veranstaltungsorte
16.–26. Mai| Informationen und Tickets

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