Die Ausstellung der Münchner Fotokünstlerin Elizaveta Porodina im Stadtmuseum präsentiert Bildinszenierungen zwischen Porträt, Modefotografie und surrealer Verfremdung.
Mit ihren Modeinszenierungen in der »Vogue«, »Gala«, »Elle« oder »Harper’s Bazaar« ist sie längst in der Welt der Fotografie angekommen. Das Münchner Stadtmuseum erlaubt nun mit einer Auswahl aus dem vielseitigen Repertoire der Künstlerin in der Kabinettausstellung einen Blick auf ihr bisheriges Gesamtwerk. Die Ausstellung »Smoke & Mirrors« ist die erste Museumspräsentation der gebürtigen Moskauerin, die seit 2000 in München lebt und seit ca. acht Jahren fotografiert. Und deren Fotoshootings und Videos zu »Bungalow« und »Baba« das Image der Wiener Band Bilderbuch mitprägten.
Auf zwei Arten kann man sich den Fotografien in dieser Ausstellung nähern: In den begrenzten Räumlichkeiten dieses Projekts aus der Fotomuseums-Reihe Forum kann man wie durch einen Flur hindurchschreiten und den Blick links und rechts schweifen lassen. Hinausgehen wird man mit dem Eindruck von farbenfroher, facettenreicher Modefotografie von schönen Menschen. Eine andere Weise, an Elizaveta Porodinas Werk heranzutreten, wäre, jede Fotografie einzeln, Bild für Bild, intensiv zu betrachten. Auf den ersten Blick erscheint das als einschüchterndes Vorhaben, denn es wurden Bilder aus verschiedenen Portfolios zusammengestellt und mit Nägeln auf der weißen Wandfläche aneinandergereiht. Ohne erkennbaren motivischen Zusammenhang sind sie so angeordnet, dass kein Bild symmetrisch zum anderen hängt. Das verleiht der Hängungskonzeption eine Pinnwandreferenz, fast so, als wäre man gerade live dabei, wie ein Modemagazin sich für das Layout und die visuelle Gestaltung der nächsten Ausgabe entscheidet.
Und doch gibt es dabei eine vereinende Konstante: Bei jeder der fotografierten Personen scheint eine tiefe Melancholie zugrunde zu liegen. Die Menschen, meist Frauen, wurden in intimen Momenten fotografiert, doch jedes Mal entgeht dem Betrachter das scharfe Gesamtbild dieser Person durch irgendeine Art der Verschleierung. Manchmal durch seidene Tücher vor dem Gesicht des Models, eine Linse, die zwischen Körper und Betrachter gehalten wird, oder eine Spiegelung im Wasser. Es sind außerdem wiederkehrende Protagonisten, die uns aus den Bildern heraus konfrontieren. Eine Frau im gepunkteten Kleid betrachtet sich im Spiegel, einige Schritte weiter hält eine zarte Hand mit einem gepunkteten Ärmel eine Fotografie.
Ein andermal blickt uns ein und dasselbe Gesicht zweimal aus einem Bild entgegen. Keine Zwillinge, es scheint, als wäre es Porodina hier gelungen, gleich zwei Persönlichkeiten der Abgelichteten abzubilden, denn die Frau und ihr Schatten verschwimmen. Auf weiteren Fotografien treten noch surrealistischere Elemente auf, wie zerbrochene Spiegel, welche die perfekten Gesichter splittern lassen, oder eine Frau unter Wasser, von der man nicht sicher sein kann, ob sie wieder auftauchen wird. Schräg gegenüber posiert ein Mädchen auf einem Turm voller unbemalter Puppenköpfe. Wie leere Hülsen liegen sie auf einem Stapel, was das perfekt geschminkte Gesicht umso kontrastreicher hervorhebt. So entsteht eine Mischung aus Düsternis und Humor, Romantik und Realität in diesen inszenierten, verfremdeten, teils bildmanipulierten Aufnahmen. Diese Aspekte werden besonders interessant, wenn man den biografischen Hintergrund der Fotografin miteinbezieht. Elizaveta Porodina studierte in München Klinische Psychologie und arbeitete im psychotherapeutischen Bereich, bevor sie beruflich zur Kamera griff. Die Hauptfiguren ihrer Bilder scheinen einen inneren Kampf auszutragen, der nur in Fragmenten beim Betrachter ankommt.
Bezeichnenderweise liegt der Fokus auch ausschließlich auf dem Menschen, nur selten spielt die Umgebung oder gar Landschaft eine Rolle. Der Landschaftsdarstellung in der zeitgenössischen Fotokunst übrigens widmet sich im Stadtmuseum gerade eine fulminante Ausstellung mit Werken aus der DZ BANK Kunstsammlung (bis 31. März). Wer nach einem fröhlichen Zeitvertreib für die Winterzeit sucht, sollte um Porodinas Ausstellung wohl einen Bogen machen. Wer das Experiment nicht scheut, wird mit nachhaltigen Eindrücken belohnt: Porodina zeigt uns den Menschen geheimnisvoll vielschichtig – und schafft es, die Fotografierten verletzlich und zugleich unantastbar wirken zu lassen. Eine Kunst der Distanz. Sie arbeitet mit starker Theatralik, die sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiß ihre Wirkung nicht verfehlt. Sogar altbekannte Klassiker, wie der venezianische Harlekin oder Vermeers Mädchen mit Perlenohrring, lassen sich hier in ungewöhnlicher Neuinszenierung begutachten. Lässt man nun Bild für Bild noch einmal Revue passieren, wird man Themen wie künstlerische Tradition und Wahrnehmung, Aspekte von Fremdeinwirkung, Unsicherheit und Geheimnis erkennen. »Letztendlich geht es nur um Liebe«, sagt Elizaveta Porodina zwar selbst über ihre Bilder, doch steckt noch einiges mehr dahinter. Allem voran der Sprung zu ihrer eigenen, unverkennbaren Bildsprache. ||
ELIZAVETA PORODINA SMOKE & MIRRORS
Münchner Stadtmuseum| St.-Jakobs-Platz 1
bis 27. Januar| Di bis So 10–18 Uhr
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