»Bayerns größter Kunstevent für zeitgenössische Kunst« – so bewirbt sich die ARTMUC selbst auf ihrer Homepage. Dorian Ertl hat nachgefragt, was diesen Superlativ rechtfertigt.

Kristina Kanders: »Housewife 64, Eva« | 2017 | Öl auf Tapete auf Holz| © Kristina Kanders

Von 9. bis 11. November findet auf der Prater­insel wieder die ARTMUC statt. Schwerpunkte in diesem Jahr: Im Kunstraum João Carvalho präsentiert Carvalho selbst zusammen mit vier weiteren portugiesischen Künstlern verschie­dene Kunstwerke und Installationen. Unter dem Titel »Emerging Galleries aus München« stellt sich die Galerie Frey aus Germering vor, die 2014 von Martina Frey gegründet wurde. Außergewöhnlich sind vor allem die wech­selnden Ausstellungsszenarien in den Gale­rieräumen, die Spielarten von Werkschauen im »Industrielook« bis hin zur »kleinparzelli­gen Wohnzimmeratmosphäre« erlauben. Ein Sonderprojekt ist die Multimediainstallation von Studierenden der HFF München im ehe­maligen Atelierhaus auf der Praterinsel. Insge­samt sind 80 nationale und internationale Künstler und 15 Galerien aus Europa an der Messe beteiligt.

Raiko Schwalbe, Initiator und Geschäfts­führer der Messe, teilt in der Presseinformation mit: »Die Idee der ARTMUC wächst weiter und will zukünftig im jungen und dynamischen Kunstmarkt noch fokussierter neue, außergewöhnliche Trends aufzeigen und setzen und jungen Künstlern den Zugang zu einem breiteren Publikum ermöglichen. Mit ihren zwei Ausgaben pro Jahr (Frühjahr/Herbst) soll die ARTMUC als wichtigster Kun­stevent der Stadt München weiter ausgebaut und gestärkt werden, mit dem Ziel, sich bis 2024 zur wichtigsten Plattform für zeitgenös­sische Kunst in Bayern und darüber hinaus zu entwickeln. Ziel ist es dabei, nicht nur in der Kunstmetropole München eine noch bessere Verzahnung zwischen Institutionen, Samm­lern, Künstlern und einem interessierten Pub­likum zu schaffen, um so speziell dem künst­lerischen Nachwuchs die ersten Schritte in eine breite Öffentlichkeit zu erleichtern.«

Das klingt mehr als ambitioniert. Wer ist dieser Raiko Schwalbe? Der gebürtige Berliner, Wirtschaftsinformatiker und Galerist erzählt: »Seit über 20 Jahre lebe ich nun schon in München. Ich habe noch einen Bruder und eine Schwester, die auch Berliner sind, aber noch in Berlin wohnen. 2006 habe ich damals mit meinem Bruder meine erste Galerie auf­gemacht in Kreuzberg. Wir waren damals wirklich die erste Galerie in Deutschland, die das Thema Graffiti­-Art, Street-­Art auch so bisschen gezeigt hat. Das war zu der Zeit, als es in Berlin fast 750 Galerien gab: Es gab damals einen ganz, ganz schlimmen Boom, und alle wollten nach Berlin, damals war Berlin ir ­gendwie cool. 2008 ver­anstalteten wir wir eine Ausstellung, eine illegale Ausstellung – ›Kunst im Tresor‹ – im alten Lan­deszentralbankgebäude. Illegal deshalb, weil der Tresor keinen Notaus­gang hatte. Und trotzdem standen 1400 Leute an, um die Vernissage zu besuchen. Daraus ist dann auch die STROKE entstanden, die jetzt zum zehnten Mal stattfindet. Wiederum ent­wickelte sich die Idee der ARTMUC aus der STROKE. Wir wollten etwas Neues schaffen, vor allem da der Platzmangel, bzw. ein be ­zahlbarer Platz für die Kunst, gerade in Mün­chen ein nie endendes Thema ist.«

Wechselte von Hannover nach Müchen – Elica Tabakova: Strich ins Leere | Mixedmedia, 70 x 100 cm | © Elica Tabakova

Wie steht er zum ewigen Dilemma von Kunst und Kom­merz? Gleicht der Name »Präsentationsplattform mit Verkaufscharakter« nicht mehr einem Wahl­slogan der FDP, als einer Kunstausstellung für zeitgenössische Kultur? »Ich stelle mich nicht hin und sage, ich bin der große Förderer, sondern ich bin Verkäufer«, so Schwalbe. »Wir sind ganz klar eine Präsen tationsplattform mit Verkauf­scharakter. Es ist sogar so, dass ich selbst keine Künstler anschreibe – ich erweitere meine Datenbasis nicht –, sondern bekomme Anfragen von den Künstlern, damals regional, jetzt europaweit. Aufgrund der hohen Nachfrage findet die ARTMUC deshalb seit 2017 auch nicht mehr nur einmal, sondern gleich zweimal im Jahr statt. Diesen Mai hat­ten wir sogar zwei Locations, Isarforum und Praterinsel.« Was hat Raiko Schwalbe für eine Ausbildung? Ist er Sammler? Oder selbst Künstler? »Ich bin BWL Informatiker. Zwi­schen 2008 und 2011 habe ich angefangen Kunst zu kaufen, dann wieder aufgehört, weil ich aufgrund der Netzwerke jeden Tag un ­endlich viele Bilder kaufen könnte, wenn ich nur wollte. Ich fange aber jetzt seit ein, zwei Jahren wieder an Bilder zu kaufen, die mir gefallen.«

Schwalbes Offenheit bei der ARTMUC­ Konzeption gibt der Messe einen betont jugendlichen Anstrich. In einem Interview sagte er, die ARTMUC sei eine Messe ohne ein Symposium oder eine Eröffnungsrede des Bürgermeisters, also fern von allem Konserva­tiven. Dient dieser unkonventionelle, liberale Appeal dazu, die Jugend mit der Kunst in Berührung zu bringen, oder ist das einfach gutes Marketing? »Vor allem die STROKE ist stark jugendlich geprägt. Bei der ARTMUC hingegen liegen wir in der Zielgruppe von 20 bis 25 Jahren. Aber ja, natürlich haben wir auch jährlich viele Schulklassen zu Besuch. Und ja, es gibt auch junge Käufer! Viele junge Leute, die früher zwei, drei Euro ausgegeben haben, weil sie mal kein Ikea-­Poster kaufen wollten, sieht man heute auf Galerien. Die ARTMUC ist dafür da, dass man reinkommt und frei sagen kann: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht!«

Haben junge Künstler eine Chance auf einen Ausstellungsplatz? »Auf jeden Fall! Wir haben bei der ARTMUC ab sichtlich keine Altersgrenze fest­gelegt und vergeben je ­des Jahr vier, fünf, sechs Greencards an junge Künstler.« Geht es nun ums Geld oder um die Kunst? Geht es bei der ARTMUC um die Men­schen, um die Jugend, oder geht es um die Käu­fer? »Wir sollten in der Realität bleiben. Wir haben Künstler, die, wie jeder normale Mensch auch, Geld, Kleidung, Nahrung brauchen. Wo sollen sie denn sonst ihre Werke ausstellen, wenn nicht auf Kunstausstellungen mit Ver­kaufscharakter? Die Künstler bräuchten einen Mäzen, aber da sind wir dann schon in einem anderen Feld. Denn für einen Kunst­mäzen brauchst du in den meisten Fällen einen hohen Bekanntheitsgrad oder gute Verbindungen. Auch Künstler müssen sich ihr Brot verdienen können. Die ARTMUC bietet all das: Verkauf, Ausbau der Präsentations­möglichkeiten, Netzwerk unter den Künstlern stär­ken. Künstler müssen in unserer Zeit kommerziell agieren.«

Die Meisterschülerin von Marko Lehanka in Nürnberg, ausgezeichnet mit dem Fränkischen Kunspreis, arbeitet jetzt im Domagkatelier – Isabel Ritter: »Standbild #1«| 2014 | Eiche, Eitempera, 58 x 42 x 24 | © Isabel Ritter

Raiko Schwalbe ist kein klassischer Kunst­idealist. Eher ist er ein Wirtschaftsrealist. Die Zahlen sprechen für ihn und seine Messen: 20.000 Besucher auf der STROKE, 14.000 Besucher auf der ARTMUC, wachsende Ausstellerlisten, wachsende Umsätze. Dass die ARTMUC kein Kraut­-und­-Rüben­-Kunstmarkt ist, sichert die Jury, der die Künstlerin und Kuratorin Dörthe Bäumer, die Galeristin Karin Wimmer, die Unternehmerin Uta Römer, die Kuratorin Anna Wondrak und Guido Redlich von der Stiftung Pinakothek der Moderne angehören. Sie wählen die Künstler aus, und Raiko Schwalbe zeigt, wie man mit Kunst Geld verdienen kann. Warum da die städtischen Zuständigkeiten im Bereich Kreativwirtschaft noch nicht auf die Idee gekommen sind, ihn als Berater zu engagie­ren, weiß niemand. ||

ARTMUC
Praterinsel 3–5| | 9.–11. November | Fr / Sa 12–20 Uhr, So 12–18 Uhr

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