Das Rohtheater erforscht auf großer Fahrt, wie wir digital überwacht werden.

Bülent Kullukcu im Kampf mit dem Wal | © Mobypress

Rohtheater, das sind Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski. Das sind gefilmte Miniaturwelten aus Figürchen, Modellen, Zeichnungen auf Geldscheinen, selbst gebastelten Pop-up-Büchern und allem anderen, was die drei so finden. Weil keine Schauspieler dabei sind, nennen sie ihre Performances posthumanes Theater. Und beschäftigen sich mit dem, was die Welt zu einem nicht humanen Ort macht. Mit Machtsystemen jeglicher Couleur, seien es faschistoide Ideologien, unmenschliche Zukunftsvisionen oder die Manipulation mittels Werbung.

In ihrer neuen Produktion »Moby Dick« geht es um künstliche Intelligenz. Das klingt erst einmal seltsam, weiß doch jeder, dass Käpt’n Ahab in Herman Melvilles Roman ganz analog den weißen Pottwal jagt, der ihm einst sein Bein abgerissen hat. Ahab will sich bei dem Schmied, bei dem er sich sein künstliches Bein machen lässt, aber auch einen Roboter bestellen. Das ist für Bülent Kullukcu die Schlüsselszene des Romans. Er sieht die Geschichte als eine Art Gleichnis. Der Wal steht für die Natur, die der wahnsinnig gewordene Ahab mit blindem Hass zerstören will. Den Kampf des »unschuldigen« Wals mit dem rachsüchtigen »kultivierten« Ahab vergleicht Bülent mit der Kontrolle des Menschen durch künstliche Intelligenz. Die Möglichkeit der totalen Überwachung in der digitalen Welt sieht er sehr kritisch, auch wenn er halb belustigt feststellt, dass es ja Hippies gewesen seien, die die Werkzeuge entwickelten, die dem Staat und der Wirtschaft die Kontrolle über Menschen in die Hand geben.

Nichts weniger also als die Algorithmisierung unseres Daseins und die Zerstörung der Natur sind die Themen der mobilen Theaterinstallation »Moby Dick«. Mobil deshalb, weil die Zuschauer nicht im Theater Blaue Maus bleiben. Das ist nur der Ausgangspunkt für eine Fahrt im Walfängerbus »Pequod«. Nachdem die Mannschaft sich eingeschifft hat, passiert der alte Doppeldeckerbus verschiedene Stationen – in der Stadt wie im Roman. Das Gerüst des Romans bildet die inhaltliche Grundlage der Entdeckungsfahrt. Aus Sicht des Erzählers Ismael wird die Story mit den Mitteln des Rohtheaters nachgespielt, auch in Form eines Films mit Asmir Sabic und Tuncay Acar, der im Bus gezeigt wird. In der Performance stehen Texte über Digitalisierung neben solchen über Naturbeobachtungen. Was auf der Straße passiert, kann dadurch plötzlich in einem ganz anderen Kontext stehen. Man könne gut mit Sinneseindrücken spielen, während der Bus durch die Stadt fährt, meint Bülent. Das hat bei seiner Busperformance »Rettet die Vögel« schon einmal funktioniert. Diese Reise endete am verträumten Ende der Stadt im Englischen Garten. Die 35 Mann starke Mannschaft der »Pequod«, die gleichzeitig Bauch des Wals und Walfänger ist, wird im Container Collective am Ostbahnhof anlanden. Die Container-Ruinen sind für das Rohtheater Abfall und Symbol der Globalisierung und Digitalisierung unserer Welt, auch des Verschiebens von Waren und Wohlstand auf Kosten anderer.

In Schwarz und Weiß will das Rohtheater die Welt aber nicht einteilen und schon gar keine Antworten geben. Dass sich die Mitfahrer Fragen stellen, ist allerdings erwünscht. In der U-Bahn entdeckt Bülent immer mehr junge Menschen, die in die digitale Welt hineingeboren wurden und ein Buch lesen, statt in ihr Smartphone zu glotzen. »Vielleicht verweigern die sich«, hofft er. ||

MOBY DICK
Rohtheater – Theater Blaue Maus| Elvirastr. 17a | Zusatzvorstellung: 27. September | 20 Uhr | Tickets: rohtheaterreisen@rumpeln.de

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