Vom weichen Fluss der Arme bis zur modernen Stilvielfalt führte der Weg von Menghan Lou, der jetzt zwischen und mit Stühlen tanzen lässt. Auch die drei anderen »Jungen Choreographen« beim Staatsballett wecken Erwartungen.
Die Klassik pflegen und doch die Moderne wagen, das ist mittlerweile die Repertoirepolitik auch der großen traditionellen Ballettensembles zwischen New York, Paris, London und Moskau. Münchens Staatsballettchef Igor Zelensky agiert da noch ein wenig zögerlich. Immerhin: nach »Portrait Wayne McGregor«, einem modern gebrochenen neoklassischen Dreiteiler vom titelgebenden renommierten britischen Tanzschöpfer, setzt Zelensky jetzt zu Saisonende seine 2017 initiierte moderne Reihe »Junge Choreographen« fort. Wie letztes Jahr sind wieder vier aufstrebende Tanzschöpfer beteiligt.
Zum Interview trafen wir Menghan Lou, geboren in der Millionenmetropole Chongqing in der südöstlichen Mitte Chinas. Er eröffnet den »Jungen Reigen«. Hellwach in seinem ganzen Wesen, macht es dem 35-Jährigen sichtlich Freude, über seinen Werdegang und die Münchner Kreation zu sprechen. Nach intensiver klassischer Ausbildung tanzt er zunächst in der Guangdong Modern Dance Company (benannt nach der bevölkerungsreichsten Provinz an der Küste des Südchinesischen Meeres), bei ihrer Gründung 1992 Chinas erste moderne Compagnie überhaupt. »Martha Grahams Modern Dance war damals die Basis«, erklärt Lou. »Aber um die starke Körpermitte der Graham-Technik hat sich ein weicher Fluss der Arme entwickelt.« Lou demonstriert mit weit nach außen schwebenden Ports de bras und meint, da habe der traditionelle klassische chinesische Tanz eingewirkt. Diesen sehr anmutigen Tanzstil kennt man hierzulande höchstens aus einer im Fernsehen übertragenen chinesischen Oper. Dann der Sprung nach Europa: Lou will sein Körperwissen vertiefen, ist neugierig auf »die moderne Stilvielfalt, wie sie China damals noch nicht kennt«. Trotz Geld- und Visums-Schwierigkeiten schafft er es an die zeitgenössisch orientierte Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst; und, nach erfolglosem Vortanzen zwischen Linz und Berlin, schließlich ins berühmte Nederlands Dans Theater (NDT).
Man wird in seiner Münchner Kreation sehen, wieweit ihn die dort getanzten Werke von Jirí Kylián, Hans van Manen, Ohad Naharin, Aszure Barton und Paul Lightfoot & Sol Léon geprägt haben. »Lightfoot förderte meine choreografische Arbeit. Über ihn lief wahrscheinlich auch der Kontakt mit dem Staatsballett«, sagt Lou und öffnet seinen Laptop, wo schon die Bühnenbild-Skizze gespeichert ist: eine abstrakte Arena, begrenzt von kreuz und quer gestellten unterschiedlichen Stühlen. »Die sind aus dem Opern-Fundus«, lächelt er verschmitzt, »und verweisen auf meine Ausgangsidee: Home. Ich bin ständig in der ganzen Welt unterwegs und vermisse mein Zuhause. Aber allein schon wenn ich es mir vorstelle, werde ich innerlich wunderbar ruhig.« Die bewegten, benutzten und umtanzten Stühle bringen gleichzeitig ein tanztheatrales Element in sein Stück, dem Thijs Scheele eine mit Piano gemischte elektronische Musik zukomponiert. Und, so viel verrät der Choreograf noch: »Das Stück bewegt sich von einem anfänglichen Chaos hin zu einer Harmonie.«
Stepán Pechar, in Malta geboren, zunächst Kunstturner, dann Studium am Prager Konservatorium, tanzt in diversen kleineren Compagnien, bevor er 2015 ins traditionsreiche Tschechische National Ballett in Prag engagiert wird. Trotz heftigem Arbeitspensum im Ensemble findet er noch Kraft fürs Choreografieren. Mit Ondrej Vinklát und Marek Svobodnik leitet er außerdem seit 2015 die renommierten Prager Dekkadancers. Dass diese freie Gruppe immer noch inspiriert ist von dem berühmten Prager Jirí Kylián, dem Initiator des europäischen Modern Dance, war gerade im April in der Heinz-BoslBallettmatinee im Münchner Nationaltheater zu erleben: der hinreißendste Matinee-Beitrag war Marek Svobodniks KyliánHommage »Petite Corde«. Große Erwartungen also jetzt bei Pechar. Sein Stück, so erfährt man, ist abstrakt, will jedoch in und durch die Bewegung etwas über das Wesentliche im menschlichen Leben zum Ausdruck bringen.
Mit Peter Walker, geboren in Florida, bekommt der Abend sicher eine charakteristisch amerikanische Farbe. Wie für manch andere US-Tanzkoryphäe ist das Steppen für ihn der Türöffner zum Ballett. Seit 2012/13 tanzt er im illustren New York City Ballet, für das er bereits anlässlich der Herbst-Gala 2016 und anderer Events choreografiert hat. Seine Tanzsprache, nimmt man mal kühn an, wird sich orientieren an der Neoklassik des NYCB, aber auch an der modern-zeitgenössischen Flexibilität des Oberkörpers. Dustin Klein schließlich ist den Münchnern als langjähriger Halbsolist des Bayerischen Staatsballets wie auch als Choreograf schon bestens bekannt. Bei seinem »Mama, ich kann fliegen« für die »Jungen Choreographen« 2017 belebte sich eine skulptural designte Bühne mit rasant flirrender zeitgenössischer Bewegung. Man ist gespannt, was er diesmal entworfen hat. ||
JUNGE CHOREOGRAPHEN
Prinzregententheater| 4./5./6. Juni| 20 Uhr
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